Martin Riccabona: Von Konzerten, Konzepten und Kuriositäten
Martin Riccabona BA MA: „Von Konzerten, Konzepten und Kuriositäten. Konzertsäle und ihre Orgeln im 21. Jahrhundert“ (12. Oktober 2018)
Martin Riccabona begab sich in seinem Referat „Von Konzerten, Konzepten und Kuriositäten. Konzertsäle und ihre Orgeln im 21. Jahrhundert“ im Rahmen des Symposiums „50 Jahre Linzer Rudigierorgel – ein Meilenstein“ am 12. Oktober 2018 auf eine spannende Reise in die Welt der Konzertsaalorgeln und gab ein Update über aktuelle Entwicklungen und Instrumente.
Riccabonas Vortrag gliederte sich dabei in zwei Teile: Zum einen beleuchtete er seit dem Jahr 2000 neu errichtete Konzertsaalorgeln in Europa, zum anderen machte er sich auf die Suche nach Antworten auf die Fragen: Was wird mit diesen Konzertsaalorgeln gespielt? Was ist los in den Konzertsälen? Und entsprechen diese Programme unseren Vorstellungen von Musik? Riccabona erstellte zu diesem Zweck aus Porgrammen von dreizehn Konzerthäusern in Deutschland und Österreich eine Statistik und verlieh angesichts des Ergebnisses dem Wunsch Ausdruck, in Konzertsälen nicht dieselbe Literatur wie in Kirchen anzubieten, denn: „Die Orgel ist so vielseitig, dass sie beides kann“, so Riccabona.
Bevor sich Martin Riccabona verschiedenen Beispielinstrumenten widmete, umriss er die bereits 2012 im Rahmen eines Roundtables des Österreichischen Orgelforums diskutierte Frage: Was soll eigentlich eine Konzertsaalorgel im 21. Jahrhundert können?
Kurzweilig und informativ stellte Martin Riccabona anschließend folgende Konzertsaalorgeln mit ihren Konzepten vor:
1. Variable Akustik I | Kultur- und Kongresszentrum Luzern
Bei der Orgel im großen Saal des Kultur- und Kongresszentrums Luzern aus der Werkstatt der Orgelbaufirma Goll (2000) lässt sich ein zusätzlicher Nachhallraum zuschalten.
2. Dolby Surround 5.1 | Auditorio Adán Martín Menis in Santa Cruz de Tenerife
Das 2005 in Zusammenarbeit mit Jean Guillou entstandene Instrument der Firma Blancafort Orgueners de Montserrat umfasst acht Teilwerke, die sich in einer Distanz von 20 Metern von einer Saalseite bis zur anderen verteilen. Mehrere Organisten können auf insgesamt neun Spieltischen das Instrument zusammen bespielen und den Hörer so in Dolby Surround einhüllen.
3. Aus Alt mach Neu | Auckland Town Hall
Die im Zuge der Orgelbewegung stark veränderte Norman & Beard-Orgel von 1911 wurde 2008 von Orgelbau Klais zerlegt und unter Verwendung von Teilen des originalen Instrumentes rekonstruiert, auf ein originales Klangbild zurückgeführt und behutsam ergänzt. Interessant dabei ist, dass der Stadtorganist John Wells einzigartige Neuseeland-Klänge integrieren wollte und so in Zusammenarbeit mit Orgelbau Klais zwei Register entwickelte, die auf traditionelle Instrumente (Koauau und Pukaea) der Maori, der Ureinwohner Neuseelands, zurückgehen.
4. Doppelt hält besser | Filharmonia Łódzka im. Artura Rubinsteina
Die Arthur Rubinstein-Philharmonie in Lodz ist das erste Konzerthaus Europas mit einer sächsisch-barocken und einer deutsch-romantisch inspirierten Orgel. Die zwei voneinander unabhängigen Instrumente (Wegscheider Orgelbau, Rieger Orgelbau) aus dem Jahr 2015 haben unterschiedliche Stärken und kommen so je nach Anlass zum Einsatz.
5. Zurück in die Zukunft | Hochschule für Musik Würzburg
Diese Orgel ist eng verbunden mit dem Namen Christoph Bossert – in ihr steckt nicht nur ein Konzept, sondern eine ganze Philosophie, die durchaus polarisiert. Die Disposition geht von der Arnstädter Bach-Orgel (Johann Friedrich Wender, 1703) aus und wurde um Register verschiedener Epochen angereichert, um so viel Raum zum Experimentieren zu bieten und klangfarblich Neues zu schaffen. Das Instrument von Orgelbau Klais (2016) soll historische Klänge und neueste Technik (Einsatz von Proportionalmagneten) vereinen.
6. Orgel mit Erzähler | Kulturpalast Dresden
Der Kulturpalast Dresden wurde nach Umbau und Rekonstruktion 2017 wiedereröffnet. Im selben Jahr wurde auch die neue Orgel aus der Werkstatt von Orgelbau Eule eingeweiht, die ein bemerkenswertes Register mit dem Namen „Erzähler“ („Storyteller“), eine besonders leise, flötenartig klingende Pfeife mit sprechendem Klang, erhalten hat, das aus dem amerikanischen Orgelbau stammt und auf Ernest Martin Skinner zurückgeht.
7. Variable Akustik II | Anton Bruckner Privatuniversität Linz
Anders als im Kultur- und Kongresszentrum Luzern ist es nicht ein realer zusätzlicher Raum, der den Nachhall verändern kann, sondern eine Nachhallverlängerungsanlage, die einen Nachhall von bis zu vier Sekunden via Lautsprecher zu simulieren vermag.
8. Noch eine Brucknerorgel? | Brucknerhaus Linz
Die Flentrop-Orgel von 1974 im Brucknerhaus war als Antwort auf die Rudigierorgel im Linzer Mariendom zu sehen – ganz nach dem Motto: Was man in der Kirche kann, kann man auch im Konzertsaal. Wenn auch auf dem Papier durchaus Ähnlichkeiten bestanden, konnte das Flentrop-Instrument im realen Klang bei weitem nicht an die Rudigierorgel heranreichen. Obwohl das Brucknerhaus-Instrument in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten bereitete, setzte erst im Sommer 2017 ein Umdenken in Bezug auf die Zukunft des Instrumentes ein. Ein Ausschreibungsverfahren zu einer Überarbeitung des Instrumentes, um dessen Verwendungszweck auszudehnen, war die Folge. Man entschied sich aus finanziellen Gründen schließlich jedoch für einen Neubau, der optisch an das alte Instrument angelehnt ist.
9. Klein, ganz groß? | Gewandhaus Leipzig
Eine Orgel für Continuozwecke entsteht derzeit im kleinen Saal des Gewandhauses Leipzig. Eingeweiht wird sie am Reformationstag 2018.
(sp)