Christian Iwan: Die ideale Domorgel
„Was ist die ideale Domorgel?“ – Dieser Frage ging Referent Christian Iwan in seinem gleichlautenden Vortrag im Rahmen des Symposiums „50 Jahre Linzer Rudigierorgel – ein Meilenstein“ am 12. Oktober 2018 nach. Sein Zugang war dabei ein sehr persönlicher. Denn Christian Iwan war fast zehn Jahre in Eisenstadt an Österreichs kleinster Domorgel (Malleck, 1778) tätig, seit 2009 wirkt er nun in Graz an Österreichs größter Domorgel (Klais, 1978).
Bei beiden „Arbeitsgeräten“ diskutiere man schon seit längerem, ob es sich überhaupt um ideale Domorgeln handeln könne, so Iwan. „Beide stoßen immer wieder an ihre Grenzen. Am eklatantesten hörbar sind die Schwächen, wenn es um die Begleitung des Gemeindegesangs geht“, verriet der Domorganist. Da das Instrument in Graz von Anfang an nicht funktioniert habe, habe man beispielsweise bereits wenige Monate nach Fertigstellung der Orgel sehr radikal einen großen Teil des Prinzipalchors ausgetauscht, zeichnete Iwan die Situation in der Steiermark nach. Betrieben habe man damit aber keine Ursachenforschung, sondern habe vornehmlich Symptome kuriert, die auf Widersprüche in der Konzeption zurückzuführen sind, erklärte der Grazer Domorganist, der das Problem nur als lösbar erachtet, wenn sich diese Widersprüche auflösen lassen.
Die Frage nach der idealen Domorgel erscheine ihm gerade auch im Hinblick auf den Widerspruch zwischen liturgischer Erneuerung und einem eher rückwärtsgewandten, historisierenden Orgelbau aber besonders spannend. „Es ist schwer, einen Prototyp einer Domorgel zu definieren, aber ich werde trotzdem einen Versuch unternehmen“, explizierte Iwan. Zu diesem Zweck ging Iwan zunächst den Fragen nach: Womit ist eine Domorgel konfrontiert? Was sind die Aufgaben einer Domorgel?
Nach einer Skizzierung des Aufgabenspektrums einer Domorgel – neben dem Begleiten und Führen des Gemeindegesangs müsse eine Domorgel auch für das Zusammenspiel mit Vokal- und Instrumentalensembles sowie für das solistische Spiel in Liturgie und Konzert geeignet sein – stellte Iwan schließlich vier Thesen auf.
These 1: Eine Domorgel muss eine Universalorgel sein.
Iwan ist der Auffassung, dass es sich bei einer Domorgel um ein vielfältig verwendbares Instrument handeln müsse, das sich zwar an historischen Vorbildern orientieren könne, aber keine Stilkopie einer Epoche sein dürfe. Mit einer fiktiven Disposition einer Hauptorgel mit fünfzig Registern wollte der Grazer Domorganist nun überprüfen, ob die von Peter Planyavsky 1991 proklamierte Idee, mit einer Orgel mit fünfzig Registern alles spielen zu können, noch immer Gültigkeit habe. Gleichzeitig ging Iwan der Frage nach, wie sich einer Orgel eine individuelle Note, einen eigenen Charakter verleihen lasse. In diesem Kontext richtete Iwan den Blick auch auf die Linzer Rudigierorgel, bei der verschiedene Konzepte in einer selten zu findenden Konsequenz verwirklicht seien.
These 2: Orgel oder doch Orgelanlage?
„Für einen Mitfeiernden im Kirchenraum macht es einen großen Unterschied, ob die Orgel Schwierigkeiten hat, von einem Ende bis zum anderen zu kommen oder ob man sich klanglich von allen Seiten getragen füllt“, erläuterte Iwan die Problematik. Damit einher ging für ihn die Frage, inwieweit ein Instrument sich raumfüllend präsentieren kann und wie weit liturgische Überlegungen – zum Beispiel aus der „Allgemeinen Einführung zum Messbuch“ – in Domkirchen schon umsetzbar sind.
Darüber hinaus problematisierte er Fragen wie „Was tun, wenn der Raum etwas vorgibt, was nicht dem entspricht, wie wir heute Gottesdienst feiern?“.
These 3: Die ideale Domorgel – gibt es nicht!
Iwan ist davon überzeugt, dass es die ideale Domorgel nicht geben kann, weil jeder Kirchenraum einzigartig sei und daher kein Prototyp einer idealen Domorgel definiert werden könne, sodass die ideale Domorgel immer nur eine Annäherung sein könne.
These IV: Domorgel semper reformanda est!
Die Bereitschaft zum Wandel sei unabdingbar für die Suche nach der „idealen Domorgel“, so Iwan. Denn sich ändernde Rahmenbedingungen – von der Liturgiegestaltung bis hin zur Musizierpraxis – erfordern auch einen genauen Blick auf Bestehendes, erklärte der Grazer Domorganist. Es sei wichtig, sich mit aktuellen Phänomenen auseinanderzusetzen, man müsse dabei zwar nicht jeder Mode „hinterherhecheln“, aber in irgendeiner Form doch bewusst darauf reagieren, zeigte sich Iwan überzeugt.
Ausblicke und Wünsche rund um den Domorgelbau
Neben der Vorstellung einiger aktueller Domorgelbauprojekte (u.a. Freiburger Münster, Mainzer Dom, Wiener Stephansdom) und deren Konstanten (u.a. elektrische Trakturen, Einsatz von Elektronik, angloamerikanische Einflüsse) sprach sich Iwan trotz des Wunsches nach möglichst vielseitigen Domorgeln für die individuelle, durchaus auch regional gefärbte Note von Instrumenten aus („Man darf die Landschaft, in die die Orgel eingebettet ist, auch erkennen.“) und warnte gleichzeitig davor, in eine Art indifferenten Internationalismus zu verfallen, bei dem Instrumente wieder austauschbar werden.
Anschließend stellte Iwan Projekte vor, die die Verbindung scheinbar fremder Welten gemeistert haben; ein solches Projekt wurde in der Hamburger Michaeliskirche realisiert, die zwei Orgeln – ein Instrument aus dem 16. und eines aus dem 20. Jahrhundert – beherbergt, die sich sowohl im Dialog gut ergänzen, aber auch als ein Instrument spielbar sind. Iwan rief weiters dazu auf, bestehende Instrumente weiterzudenken und stellte die Frage in den Raum: „Wie weit können oder sollen Domorgeln in die Zukunft blicken?“
Treffend fasste Domorganist Christian Iwan zusammen: „Was eine Domorgel unbedingt können muss, was auch hilft, wenn sie die Aufgaben nicht oder nicht zur Gänze erfüllt, muss ein Instrument sein, dass die Spielenden wie die Hörenden unmittelbar berührt und ergreift …“
(sp)