KLANG.RAUM. EVANGELIUM
Die ORGEL.LITURGIE mit Wolfgang Kreuzhubers Improvisationen über die Perikopen des Tages – sie ist schon eine liebgewordene Tradition im Linzer Mariendom. Und so stand am 19. Januar 2025, dem zweiten Sonntag im Jahreskreis, wieder dieses „einzigartige Format“ (Christoph Niemand), in dem die Perikopenverse und ihre Ausdeutung durch die Worte von Domkurat Josef Keplinger und die Klänge von Domorganist Wolfgang Kreuzhuber eine besonders innige Beziehung eingehen, auf dem Programm. So einzigartig wie das Format ist dieses gemeinsame Wirken der beiden in der Verkündigung des Wortes Gottes: Einmal mehr machten die beiden so erlebbar, dass Wort und Musik, die beiden Sprachen der Liturgie, einander im Gottesdienst auf Augenhöhe begegnen.
Einleitend führte Domkurat Josef Keplinger in das Konzept des Gottesdienstes ein: „Ein bekannter Bischof meinte jüngst: Wenn Menschen heute Rat suchen, dann ‚googeln‘ sie. Stünde es Christinnen und Christen nicht gut an, in solchen Situationen zu ‚bibeln‘? Wenn heute Perikopenverse über die ganze Feier verteilt improvisiert werden, wird einmal mehr deutlich, wie sehr wir uns im Feiern wirklich unter das Wort Gottes stellen, mit allem, was uns ausmacht, weil wir diesem Wort verwandelnde Kraft zutrauen. Es ist das Wort, das Gott in Christus in die Welt hereingesprochen hat.“
Hin-Hören auf das Wort Gottes – Exegese in Wort und Musik
Aus den Perikopen des Tages hatten Josef Keplinger und Wolfgang Kreuzhuber die Verse „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5), „Denn der HERR hat an Dir Gefallen.“ (Jes 62,4), „Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich!“ (Jes 62,5) sowie „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.“ (1 Kor 12,4) ins Zentrum ihrer Exegese gestellt.
Die zum Einzug erklingende Improvisation über „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5) spiegelte den Textinhalt musikalisch durch einen längeren, rezitativisch angelegten Solopart, der von anderen Stimmen beantwortet wird, wider. In der zur Gabenbereitung musizierten Improvisation über „Denn der HERR hat an Dir Gefallen.“ (Jes 62,4) brachten sanfte Klänge und weiche, einhüllende Begleitharmonien das Gefühl zum Ausdruck, sich wohlzufühlen in der Geborgenheit Gottes, in diesem wohlwollenden Gutsagen und Gutmeinen. Während der Kommunion machten bewegte Rhythmen die Freude und den Jubel bei einer Hochzeit hörbar – die Improvisation über „Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich!“ (Jes 62,5) war gleichzeitig dialogisch gebaut, um diese Beziehungen auch auf dieser Ebene zum Ausdruck zu bringen. Lebendigkeit prägte schließlich die Improvisation über „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.“ (1 Kor 12,4) zum Auszug – die Lebendigkeit des Geistes, der lebendig macht, drückte sich hier in der Satzgestaltung aus. Es bedarf keiner weiteren beschreibenden Worte über Wolfgang Kreuzhubers Improvisationen, sie sprechen für sich – wunderbar begleitet von Josef Keplingers Gedanken zu den einzelnen Perikopenversen:
„Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5)
„Tun Sie nicht, was Ihnen gesagt wird. Gehen Sie nicht auf das Angebot ein.“ Mit diesen Worten warnte letzten Sonntag in einem Interview ein Vertreter der Exekutive bei den Mittagsnachrichten die Radiohörer:innen. Wieder wurden ältere Menschen von Betrügern, die sich als Polizisten ausgaben, hinters Licht geführt. Bargeld und Schmuck wurden abgeholt, um sie vermeintlich sicher zu verwahren und vor Diebstahl zu schützen. Eine Masche, die immer noch und immer wieder zieht.
Für nicht wenige bleibt die Frage: Was kann man noch glauben? Wem kann man noch glauben? Müssen wir Misstrauen immer mehr kultivieren? Was macht das mit uns, mit unserem Glauben?
„Was er euch sagt, das tut!“ – Wie wirken diese Worte aus dem Mund Mariens vor diesem Hintergrund? Auf jeden Fall gelten sie nicht nur dem hochzeitlichen Dienstpersonal damals, sondern wirklich allen, die in der Spur Jesu gehen und bleiben wollen. Sie sind wohl in den Augen des Evangelisten Johannes geradezu programmatisch.
Wenn in der Feier der Liturgie für uns je neu der „Tisch des Wortes“ gedeckt wird, dann wollen uns seine Worte immer zum Handeln einladen, uns animieren, am Tun Jesu teilzuhaben, uns von ihm in Dienst nehmen zu lassen, heute die Krüge zu füllen, was immer das heißt.
Das ist die Berufung, die in unserer Taufe gründet und die wir auch in jeder Eucharistiefeier im Hochgebet benennen: „Wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen.“ Mit anderen Worten: Wir danken dir, dass wir von dir gewürdigt sind, in deinem Namen – mit dir gemeinsam – heute dem Leben zu dienen.
Und das können wir nur, wenn wir Hörende bleiben, wenn wir uns von ihm wirklich ansprechen lassen, nicht abstrakt sondern konkret, wenn wir die Worte, die wir hier hören auch im Herzen wirklich mitnehmen, in den Alltag hinaus.
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): Improvisation über „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5) | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
„Wo Gottes Wort bei mir ist“, schreibt Dietrich Bonhoeffer, „finde ich in der Fremde meinen Weg, im Unrecht mein Recht, in der Ungewissheit meinen Halt, in der Arbeit meine Kraft und im Leiden Geduld.“ Und mit diesen Zeilen ergibt sich für mich auch eine „Brücke“ zur ersten Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja.
„Denn der HERR hat an dir Gefallen.“ (Jes 62,4) und „Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich!“ (Jes 62,5)
Die Zeit, in der dieser Text geschrieben wurde, ist eine Zeit enttäuschter Hoffnung. Voll Zuversicht sind die Deportierten aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückgekehrt. Doch ihre einstige Heimat, ihr einziger Stolz, ist verwüstet, eine Ruinenstadt.
Worauf können wir in dieser Situation unsere Hoffnung setzen, was lässt uns angesichts dieser Zustände leben? Haben wir wirklich eine Zukunft?
Wenn ihr euch ganz Gott verschreibt, dann habt ihr Zukunft, ruft diesen Menschen der Prophet Jesaja zu. Mit der Sprache der Liebe, da wirbt Gott von Neuem um euch: „Der HERR hat an dir Gefallen.“ – „Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich!“
Eine voller Lust und Leidenschaft schwelgende Liebe Gottes wird hier hörbar und fühlbar. Gott will sein Volk zu einem Ja zu ihm geradezu „verführen“.
Die erwiderte Liebe Gottes, das Bezeugen seiner Gerechtigkeit, soll der wahre Stolz und die neue Identität des Volkes Israel sein. Es geht dem Propheten Jesaja um das Wieder-Aufnehmen von verschütteten Beziehungen. Es geht um das Herz, das für Gott schlägt, nicht zuerst um die äußere Pracht der Stadt.
Ich sag Ihnen ehrlich: Für mich sind das prophetische Worte auch für unsere Tage, für die Kirche in ihrer aktuellen Verfasstheit. Immer deutlicher zeigen sich an vielen Stellen die ersten „Ruinen“ der alten Volkskirche – bildlich gesprochen. Ansehen und Vertrauen der Institution Kirche sind vielfach in die Brüche gegangen.
Aber der Text sagt: Trotzdem kann die Kirche auch heute strahlen: durch Menschen, die offene Herzen für Gottes Liebeswort im Heute, in der Gegenwart haben, die es annehmen und aus diesem Wort leben, die ihre Glaubens-Identität nicht im Äußerlichen suchen, sondern sie wieder als wirkliche Herzensbeziehung entdecken und leben.
„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.“ (1 Kor 12,4)
Diese schöpferische „Kraft der Beziehung“, sieht schon der Apostel Paulus am Werk im Blick auf die Gemeinde in Korinth.
Dort sieht er Menschen, mit „verschiedenen Gnadengaben“, die sich alle aus dem einen Geist entfalten. Nur dieser Geist kann eine konfliktreiche Vielfalt in ein konstruktives Miteinander verwandeln – damals und heute. Und dieser Geist wirkt durch jene, die Hörende sind und bleiben, Hin-Hörende auf das Wort Gottes.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn unser Domorganist Wolfgang Kreuzhuber in diesem Gottesdienst die vier Schriftverse, auf die ich eben einen Blick geworfen habe, in Orgelklang übersetzt, dann wird damit deutlich, wie sehr alles, was unser Feiern prägt, letztlich dazu dienen soll, dass wir uns vom Wort Gottes „formen“ lassen: und das geschieht ganz wesentlich immer auch durch die Musik, die eine ganz feinfühlige und einladende, manchmal auch mächtige und überwältigende Übersetzung der Stimme Jesu ist.
Ein bekannter Theologe hat jüngst darauf verwiesen, dass im Laufe der Zeit vielen Menschen durch die kirchliche Verkündigung schmerzliche Wunden geschlagen wurden. Vielleicht braucht es gerade deswegen umso mehr immer wieder auch die Übersetzung der Stimme Gottes in den Klang der Musik, vielleicht ist dieser Klang genau für diese Wunden das Heilsame.
Nicht zuletzt deshalb, glaube ich, ist unsere Domkirche ein guter Ort für viele – weil sie ein guter Ort für Gottes Wort ist, ein guter Ort für sein Liebeswerben um uns, ein Ort, an dem so viele Menschen ihre Gnadengaben – ihre Charismen – an andere verschenken, damit Gottes Stimme vielfältig und vor allem heilsam hörbar wird und bleibt.
Ein guter Ort für Gottes Wort – hörbar durch viele Charismen
Am Ende des Gottesdienstes mit diesem ganz besonderen KLANG.RAUM.EVANGELIUM bedankte sich Domkurat Josef Keplinger mit folgenden Worten, gefolgt von kräftigem Applaus der Feiergemeinde im Linzer Mariendom: „Die heutige Lesung aus dem Korintherbrief, die animiert geradezu, sie zu aktualisieren, weiterzuschreiben. Was würde der Apostel Paulus alles erwähnen, wenn er in unsere Gemeinde hereinschaut? Welche Charismen würde er erinnern? Ganz sicher würde er an unseren Domorganisten Wolfgang Kreuzhuber denken für das Charisma, Musik zu machen. Lieber Wolfgang, ich sage Dir einmal mehr Danke, dass Du diese Gottesgabe immer wieder neu an uns weiterschenkst!“ – Genau das ließe sich umgekehrt auch über Domkurat Josef Keplinger sagen: Denn ganz sicher würde der Apostel Paulus auch Josef Keplingers Gabe, das Wort Gottes auf berührende Weise ins Heute zu übertragen, bei seinem Blick in unsere Gemeinde erwähnen. Und darum sagen auch wir einmal mehr mit Dag Hammarskjöld: „Für das Vergangene Dank, für das Kommende Ja!“
Stefanie Petelin
Diözese St. Pölten/Martina Bender (Sujetbild) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Fotos der ORGEL.LITURGIE)