Sonatore del Regno
Der Name Giacomo Puccini (1858–1924) wird heute in erster Linie mit der mondänen Welt der Oper assoziiert – kein Wunder, gilt er mit Opern wie La Bohème (1896), Tosca (1900) oder Madama Butterfly (1904) doch bis heute als letzter großer Meister der italienischen Oper. Doch als junger Komponist schuf der am 22. Dezember 1858 in Lucca geborene Puccini in seiner toskanischen Heimatstadt eine Vielzahl kurzer Orgelwerke, wie vor einigen Jahren von Forschenden des Centro Studi Giacomo Puccini wiederentdeckte Manuskripte belegen. Domorganist Wolfgang Kreuzhuber lud in der ORGEL.LITURGIE an der Rudigierorgel im Linzer Mariendom am 17. November 2024 daher anlässlich des hundertsten Wiederkehr von Puccinis Todestag am 29. November dazu ein, diese für viele unbekannte Facette im Œuvre des italienischen Komponisten zu entdecken.
Puccini als Sprössling einer kirchenmusikalischen Dynastie
Dabei entstammte Puccini sogar einer (zuweilen sogar mit der Bach-Familie in Leipzig verglichenen) Musikerdynastie von Lucca – vier Generationen lang wirkten diese als städtische Musikdirektoren und Domorganisten und fungierten so als die musikalischen Herren Luccas, einer Stadt, in der der Katholizismus wie die Kirchenmusik von Bedeutung waren. Puccinis Vater Michele (1813–1864) nahm den kleinen Giacomo regelmäßig mit zum Orgelspiel in die Kathedrale San Martino, doch Giacomo hatte Angst vor solch großen Instrumenten – sein Vater wusste ihn aber mit einem Trick zu überlisten. Puccini entwickelte schließlich Freude an der Musik. Doch als Giacomo fünf Jahre als war, starb sein Vater. Ab 1864 förderte so seine Mutter Albina Magi (1830–1884) die musikalische Ausbildung ihres Sohnes: Zunächst durch Schüler ihres verstorbenen Mannes, ab 1868 auch durch seinen Onkel Fortunato Magi (1839–1892) und Carlo Giorgi – beide als Organisten an der Kathedrale San Martino in Lucca tätig – im Istituto Musicale Pacini (heute: Conservatorio di Musica Luigi Boccherini) im Orgelspiel. An dieser Institution gewann er 1875 und 1876 neben diversen anderen Preisen den ersten Preis im Orgelspiel.
Puccini fungierte schon von 1872 bis 1874 als Assistent des Domorganisten von Lucca, von 1873 bis (offiziell) 1882 versah er – wie bereits sein Vater, dem dynastischen Prinzip der „sopravvivenza“ verpflichtet, was im Falle der Domorganistenstelle trotz Bemühungen seiner Mutter Albina erfolglos geblieben war – als Titularorganist außerdem regelmäßig liturgische Dienste in der Kirche San Girolamo. Tatsächlich lebte Puccini zuletzt schon ab 1880 in Mailand und interessierte sich dort bereits mehr für Oper und Orchestermusik. Mit Giacomo Puccini jun. endete so die Dynastie der Domorganisten an der Kathedrale San Martino in Lucca, die seit Giacomo Puccini sen. (1712–1781) 1740 stets Puccinis gewesen waren.
Wiederentdeckte Orgelwerke eines Sonatore del Regno
Aus Puccinis Jugendzeit in Lucca stammen neben diversen geistlichen Vokalkompositionen auch liturgische Gebrauchswerke (Sonaten, Versetten und Märsche) für Orgel, in Summe 61 Kompositionen (von denen vier nur fragmentarisch überliefert sind), die durch verschiedene Sammlungen, unter anderem aus der Sammlung von Carlo Della Nina (1855–1918), Puccinis Orgelschüler zwischen 1874 und 1878, überliefert sind. Puccinis Stücke für die Orgel gewähren dabei einen Einblick in die Orgelmusik im Italien jener Zeit. Zu dieser Zeit waren Orgelmessen in Italien vierteilig gestaltet – mit Offertorium, Elevatio, Communio und einem Stück „nach dem Gottesdienst“ (meist ein Marsch). Für den jungen Puccini bedeutete diese liturgische Gebrauchsmusik aber offenbar auch eine Möglichkeit zum Experimentieren, denn von Seiten des Klerus existierten hier kaum Vorgaben.
Giacomo Puccini (1858–1924): Sonata Nr. 2 in Sol maggiore | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber musizierte in der ORGEL.LITURGIE an der Rudigierorgel anlässlich des hundertsten Todestags von Giacomo Puccini am 29. November 2024 vier Werke in G-Dur: Zum Einzug die Sonata Nr. 6 in Sol maggiore, zur Gabenbereitung die Sonata Nr. 7 in Sol maggiore, zur Kommunion die Sonata Nr. 2 in Sol maggiore und zuletzt zum Auszug die Marcia in Sol maggiore, die der mit der Gemeinde im Mariendom feiernde Bischofsvikar Hans Hintermaier mit den Worten „Der Herr Domorganist hat gesagt, das letzte Stück kann ein bissl zum Schmunzeln anregen – dankeschön dafür!“ ankündigte. So schlug er einen Bogen zu seinen einleitenden Worten, in denen er das Leuchten der Musik in den Blick genommen hatte.
Giacomo Puccini (1858–1924): Marcia in Sol maggiore | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Sonatore del Regno – der Titel der ORGEL.LITURGIE bezieht sich dabei auf ein Zitat Puccinis. Sein Studienkollege und Freund Pietro Mascagni (1863–1945) und er ritterten um 1920 um die Ernennung zum Senatore del Regno, ein Ehrenamt ohne politischen Einfluss, aber mit viel Prestige im Königreich Italien. Puccini wurde es erst am 18. September 1924, also wenige Monate vor seinem Tod, von König Vittorio Emanuele III. (1869–1947) dazu ernannt – doch sogleich unterschrieb er einen Brief an seinen Librettisten Giuseppe Adami (1878–1946) mit „Sonatore del Regno“, also Musik- bzw. Klangmacher des Königreiches, ein Wortspiel ganz im Sinne Puccinis. Applaus gab's nicht nur für dieses Wortspiel, sondern natürlich vor allem für diese mutige musikalische Premiere im Mariendom Linz.
Stefanie Petelin
Ralf Roletschek – www.fahrradmonteur.de/Wikimedia Commons/Free Art License [Originalbild Zeithaus: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2a/14-01-18-autostadt-zeithaus-RalfR-017.jpg] (Zeithaus Wolfsburg) | A. Dupont/Library of Congress [Originalbild Puccini: https://www.loc.gov/pictures/item/2005685154/](Puccini, modifiziert) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Montage) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Fotos der ORGEL.LITURGIE)