K. und K.
Anlässlich 100 Jahre Mariendom und 200 Jahre Anton Bruckner erklang in diesem Jahr in der ORGEL.LITURGIE bereits Musik von Karl Borromäus Waldeck (1841–1905), Bruckners Nachfolger als Linzer Dom- und Stadtpfarrorganist und Privatschüler. Mit Musik von Mathilde Kralik (1857–1944) setzte Domorganist Wolfgang Kreuzhuber nun in der ORGEL.LITURGIE am 15. September 2024 auch einer Privatschülerin Bruckners ein musikalisches Denkmal, die zudem selbst in diesem Jahr ein Jubiläum – ihren 80. Todestag – zu feiern hat(te).
Dieser 1857 in Linz als viertes von fünf Kindern des aus Böhmen stammenden und von Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) in den Adelsstand erhobenen Glasindustriellen Wilhelm Kralik von Meyerswalden (1806–1877) und seiner zweiten Frau L[o]uise (Lobmeyer, 1832–1905) geborenen Mathilde Kralik gelang eine äußerst bemerkenswerte Karriere als freischaffende Komponistin.
Biographische Hintergründe
„Ich bin am 3. Dezember 1857 zu Linz an der Donau geboren. Mein Vater Wilhelm Kralik von Meyrswalden (gest. 1877) war Glasfabrikant (Chef der Firma Meyr's Neffe in Böhmen), meine Mutter Louise ist eine geborene Lobmeyr (Schwester des Herrenhausmitglieds und Glasindustriellen Ludwig Lobmeyer zu Wien). Meinem Vater und meiner Mutter verdanke ich den musikalischen Sinn und die Liebe zur Musik. Mein Vater war passionierter Geigenspieler, wiewohl Autodidakt und pflegte im Böhmerwald eifrig das Quartettspiel. Meine Mutter spielte als Dilettantin gut Klavier und neigte schon als Mädchen der klassischen Richtung zu.“ Mit diesen Worten stellte sich die faszinierende Persönlichkeit der Jahrhundertwende in einer autobiographischen Notiz vom 19. Oktober 1904 selbst vor und berichtete mehr über ihren Weg zur Musik. Getauft wurde Mathilde Kralik übrigens in der Pfarre St. Josef in Linz (heute Linz-Heilige Familie). Die Familie lebte in einer Wohnung im Haus Landstraße 34 – später erwarb sie zwei Häuser in der Bethlehemstraße 20.
„Von meinen Eltern hörte ich zuerst Beethovens Violin-Klavier-Sonaten. Haydns und Mozarts Klänge wurden mir zunächst durch die häuslichen Quartette vermittelt. Später übernahmen dann meine beiden älteren Brüder und schließlich ich mit ihnen die Hausmusik, die in Duos, Trios und Quatuors unserer Klassiker bestand.“ – So berichtet die autobiographische Notiz weiter. Im Hause Kralik pflegte man demnach fleißig die Hausmusik und förderte Mathilde Kraliks musikalisches Talent. Nach erstem Klavierunterricht bei ihrer Mutter, nahm sie in weiterer Folge Unterricht bei Eduard Hauptmann in Linz.
Erste Kompositionsversuche sind im Alter von 15 Jahren zu datieren – gefördert wurde sie dabei von ihrem Bruder und Seelenverwandten Richard (1852–1934), dessen Gedichte sie auch vertonte. Nach der Übersiedlung der Familie nach Wien 1870 folgte schließlich Privatunterricht bei Carl Hertlein (Klavier, Harmonielehre, ab 1870), Julius Epstein (Klavier, ab 1875) und schließlich bei Anton Bruckner (1875/76): „Er [Anm.: Epstein] nahm ernsten Anteil an meinen Kompositionen und riet mir zur weiteren Ausbildung bei Anton Bruckner für Contrapunkt, dessen Unterricht ich privat ein Jahr genoss bis zu meinem Eintritt in die Kompositionsschule des Wiener Konservatoriums im Oktober 1876.“
Denn die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bestand Kralik nicht nur, sondern wurde gleich in den zweiten Jahrgang, in die Kompositionsklasse von Franz Krenn (1816–1897) aufgenommen. Mit ihr studierten in dieser Klasse u.a. Gustav Mahler (1860–1911), Hans Rott (1858–1884) oder Hugo Wolf (1860–1903). Zum Studienabschluss am 2. Juli 1878 erreichte Kralik mit ihrer Komposition Intermezzo aus einer Suite, die sie auch dirigierte, den ersten Preis. Bei diesem Konkurs der Ausbildungsschule für Komposition stand ihr auch ihr Kommilitone Gustav Mahler neben fünf anderen Kandidaten aus ihrem Jahrgang gegenüber – unter den Juroren befanden sich Anton Bruckner (1824–1896), Franz Krenn und Josef Hellmesberger (1828–1893). Diese vergaben an beide Komponist:innen einen ersten Preis.
Nach 1878 ging Mathilde Kralik einer regen Kompositionstätigkeit nach und die in ihrem Döblinger Haus regelmäßig veranstalteten Sonntagssoiréen wurde weithin sehr geschätzt. Ins Jahr 1900 fällt die Aufführung ihrer Weihnachtskantate im Großen Saal des Musikvereins in Wien. Kralik war daneben auch umtriebig im Vereinsleben. Sie fungierte unter anderem als Ehrenpräsidentin des Damenchorvereins Wien und der Wiener Bachgemeinde und war Mitglied des Österreichischen Komponistenbundes, des Vereins der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen und Künstler Wiens, des Klubs der Wiener Musikerinnen sowie ab 1929 der Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM).
Vermutlich ab 1912 bis zu ihrem Tod – bezeichnenderweise am 8. März – 1944 lebte Kralik mit ihrer als Seminarlektorin für romanische Sprachen an der Universität Wien tätigen Lebensgefährtin Alice Scarlates (1882–1958) zusammen in Wien. Scarlates war 1934 von Mathilde Kralik auch als Haupterbin eingesetzt worden.
Musikalische Hintergründe
Zur zeitgenössischen Rezeption verrät beispielsweise Heft 20 von Radio Wien vom 12. Februar 1937 im Rahmen der Ankündigung der Aufführung von Kraliks Oratoriums Leopold der Heilige, dass die „Angehörige einer der Kunst und Wissenschaft eng verbundenen Familie […] seit ihren jungen Jahren ganz ihren musikalischen Neigungen, die nicht allein von der heißen Liebe zur Tonkunst, sondern von einer starken schöpferischen Begabung genährt werden, [lebt]“ (S. 3). Die „vorzügliche Musikerin [versuchte sich] mit Erfolg schöpferisch auf fast allen Gebieten der Musik“ (ebd.), berichtet das Heft weiter und weist auf Kraliks musikalische Heimat hin: „Ihr künstlerisches Fühlen wurzelt vor allem in der Tonwelt Wagners und Bruckners, in der ihre der Romantik zugeneigte Seele seit jeher heimisch war.“ (ebd.) Besonderes Lob erntete dabei ihr „[s]tarkes Formengefühl, besonderes Verständnis für die Verbindung von Wort und Ton und fein entwickelter Klangsinn“ (ebd.). Bereits im Jahr 1895 hatte die Zeitschrift Das Vaterland festgehalten, dass „[i]hre anmuthige, melodische Erfindung gleichen Schritt [hält] mit der tadellosen technischen Arbeit, welche von gründlichen Studien und vollkommener Beherrschung des musikalischen Apparates zeugt“ (Nr. 255, 17. September 1895, S. 2). Dementsprechend bewertete die Redaktion im Zuge der Besprechung eines Werkes von Richard (Text) und Mathilde Kralik (Musik), dass Mathilde Kralik „zu den wenigen componirenden Frauen [zählt], die selbstständig einherschreiten und darob die vielverbreitete Ansicht zu nichte machen, daß es dem weiblichen Geschlechte versagt sei, in der Kunst der Töne schöpferisch sein zu können“ (ebd.).
Über 250 Werke zählt die Werkliste von Mathilde Kralik – darunter finden sich neben Opern und Oratorien auch Lieder, Messen sowie Orchester-, Kammermusik-, Klavier- und Orgelwerke wie A cappella-Vokalmusik. Der Großteil ihrer Kompositionen liegt dabei nur als Manuskript vor, nur ein kleiner Teil ist verlegt. Ein Zustand, an dem sich seit der autobiographischen Skizze des Jahres 1904 offenbar nur langsam etwas verändert – bereits damals hatte Kralik festgehalten: „Meine Kompositionen sind zum Teil gedruckt, zum größeren Teil noch Manuscript.“
Involviert war Mathilde Kralik in einen spannenden Plagiatsfall: Der ehemalige Kapuzinerfrater Nicasius Schusser schrieb über fünfzig Seiten notengetreu aus ihrem – auf einem Libretto ihres Bruders basierenden – Märchenspiel Blume und Weißblume für seine 1935 in Eger und 1937 in Prag aufgeführte Oper Quo Vadis ab, das 1910 im westfälischen Hagen und 1912 im schlesischen Bielitz aufgeführt worden war. Zufällig kam Schussers Plagiat durch eine Pressenotiz ans Licht. Die fast 80jährige Kralik reagierte auf den Plagiator zunächst mit einem offenen Brief in den Medien, sah letztlich aber von weiteren rechtlichen Schritten ab, als Schusser einen Bußgang nach Rom unternommen hatte.
Der Glaube spielte für Mathilde Kralik zeitlebens eine große Rolle, sodass ein Großteil ihrer Kompositionen einen religiösen Bezug hat, ein Umstand, der vielleicht auch von Bruckners Hinwendung zu religiösen Themen beeinflusst ist, zumal sich Kralik noch 1899 in einem Brief gemeinsam mit ihrem Bruder Richard als „Verehrer der Brucknerschen Muse“ bezeichnet (12. Oktober 1899). Laut Notiz von 1904 betrachtete sie aber Bach als „hauptsächlichsten Lehrmeister“ und interessierte sich bei moderneren Formen für Liszt. Mit Liszt verbindet Kralik darüber hinaus eine besondere Begebenheit, wie die Tagespresse vom 7. Dezember 1932 anlässlich des 75. Geburtstags der Komponistin berichtet: „Vor allem aber bleibt ihr eine Episode unvergesslich, dessen Held Franz Liszt war, dem sie als Sprecherin für die Konservatoriumsklasse zum Namenstag gratulierte und einen Lorbeerkranz überreichte. Von dem Gefeierten aufgefortdert, spielte sie ihren für die Feier komponierten Festmarsch. Als sie geendet hatte, setzte er sich selbst an das Klavier und gab der Komposition die Klangfülle seines Virtuosenspiels; dann drückte er der jungen Kollegin einen Kuß auf die Stirn.“
ORGEL.LITURGIE mit K. und K.
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber musizierte in der ORGEL.LITURGIE am 15. September 2024 unter dem Motto K. und K. (Kralik und Kreuzhuber) zu Einzug, Gabenbereitung, Kommunion und Auszug vier Orgelwerke (Fuge in c-Moll, Interludium, Offertorium und Festmarsch) der faszinierenden Komponistin.
Mathilde Kralik (1857–1944): Offertorium | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Bei der ORGEL.LITURGIE feierten mit der Gemeinde im Linzer Mariendom Bischofsvikar und Domkustos Johann Hintermaier und Ewald Volgger, Professor der Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der KU Linz. Hintermaier lud in seiner Predigt zu den Perikopen des Tages dazu ein, „Gott als Influencer“, als „den, der vor uns geht, […] der uns zu Werken der Liebe motiviert und stärkt“, zu betrachten. Denn – so resümierte Hintermaier: „Jesus nachzufolgen bringt Liebe in diese Welt.“
Quellen:
Das Vaterland, Nr. 255, 17. September 1895.
Haas, Gerlinde (1988): Ein Urteil lässt sich widerlegen aber niemals ein Vorturteil. Gedanken zur Konzeption eines Komponistinnenporträts. In: Studien zur Musikwissenschaft, Band 39 (1988), S. 387–399.
Kralik von Meyrswalden, Rochus (2009): Ein Kuss von Franz Liszt. Mathilde Kralik von Meyrswalden. Hamburg : Acabus-Verlag.
Radio Wien, Heft 20, 12. Februar 1937.
Stefanie Petelin
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