RAUMKLANG
Mit einem fulminanten musikalischen Feuerwerk anlässlich der drei Jubiläen 200 Jahre Anton Bruckner, 100 Jahre Linzer Mariendom und RAUMKLANG Nummer 25 begeisterten am 5. September 2024 beim RAUMKLANG#25 im Linzer Mariendom die Virtuosen Harfenisten (Werner Karlinger und Martina Rifesser), der Wiener Horn Klang (Manuel Egger, Thomas Fischer-Kuhlmann, Maximilian Kerschbaummayr und Erhard Zehetner) sowie das Klarinettenensemble der Anton Bruckner Privatuniversität (Leitung: Gerald Kraxberger) gemeinsam mit den Gastgebern Domorganist Wolfgang Kreuzhuber und Dommusikassistent Gerhard Raab an den beiden Orgeln das domorgelsommerlinz-Publikum, das aus Nah und Fern zum Finale der Konzertreihe angereist war.
Ein Audiofeature präsentiert einen kleinen Eindruck dieses in Europa einzigartigen Konzertformats:
Audiofeature zum RAUMKLANG#25 | Gestaltung: Dommusikverein Linz
Festlich!
Festklänge. Der Titel von Hans Kolins (1876–1964) Stück für den Wiener Horn Klang war gleichzeitig das Motto dieses facettenreichen RAUMKLANG#25. Rar sind die biographischen Angaben zum Komponisten: Laut zeitgenössischen Medienberichten war Kolin als „Wiener Opernmusiker“ (Tages-Post, 4. August 1930) wohl im Wiener Opernorchester tätig. Als langjähriger Sommergast im Ausseerland dürfte er die Bürgermusikkapelle Bad Aussee mit eigenen Kompositionen und bei der Beschaffung von Notenmaterial unterstützt haben, sodass er 1930 zu deren Ehrenmitglied ernannt wurde.
Short!
So kurz war Balduin Sulzers (1932–2019) Stück Short Story, op. 237, für Soloklarinette eigentlich gar nicht … Denn das im Jahr 2003 – und damit viele Jahre nach der Ära Sulzer als Linzer Domkapellmeister (1981 bis 1986) – uraufgeführte Stück ist zwar einsätzig, bestand aber aus fünf Abschnitten Allegretto, poco piu mosso, allegretto, etwas ruhiger und a tempo und dauerte so doch etwa viereinhalb Minuten, die ausgesprochen kurzweilig waren, da die Solist:innen des Klarinettenensembles der Anton Bruckner Privatuniversität Linz von verschiedenen Orten aus musizierten.
Improvisiert!
Ein RAUMKLANG ohne Improvisation von Domorganist Kreuzhuber (*1957) an der Rudigierorgel ist – frei nach Loriot – „zwar möglich, aber sinnlos“. Und im Brucknerjahr 2024 erst recht! Kreuzhuber ist Bruckners fünfter Nachfolger im Amt des Linzer Domorganisten und ein ebenso leidenschaftlicher Improvisator wie sein berühmter Vorgänger. Beim RAUMKLANG#25 improvisierte Kreuzhuber eine Fantasie im symphonischen Stil, der – angesichts des Bruckner-Geburtstags am Tag zuvor – zwei Bruckner-Themen zugrunde lagen: Zum einen nutzte Wolfgang Kreuzhuber ein Motiv aus der Fest-Cantate bei Gelegenheit der Grundsteinlegung zum Dombau am 1. Mai 1862, WAB 16 – also Bruckners erster Komposition für den Linzer Mariendom, zum anderen ein Thema der Neunten Symphonie, WAB 109 – also Bruckners letztem Werk.
Original!
Eine Originalkomposition für zwei Harfen stellte Parvis aus der Feder des französischen Harfenisten Bernard Andrès (*1941) dar. Er zählt heute zu den führenden zeitgenössischen Komponist:innen von Harfenwerken. Technisch gesehen nutzen seine Werke charakteristische Klangeffekte, die durch Nutzung aller Teile des Instruments erzeugt werden. Die 1977 entstandene Komposition eroberte rasch ein internationales Publikum. Parvis arbeitet dabei mit außergewöhnlichen Spieltechniken, so geben die Noten u.a. folgende Anweisung: „frapper avec le bois de la clé en faisant rebondir sur la corde“ („mit dem Holz des Stimmschlüssels auf die angegebene Saite schlagen“). Ein besonderes Anliegen des Komponisten Bernard Andrès ist die Verbindung von traditioneller Musik mit zeitgenössischer Klangkunst – und das hörte man in der Interpretation der Virtuosen Harfenisten sehr gut.
Sensationell!
Pietro Mascagnis (1863–1945) einaktiger Verismo-Oper Cavalleria Rusticana diente Giovanni Vergas (1840–1922) gleichnamige Novelle als Vorlage. Das Intermezzo sinfonico – beim RAUMKLANG#25 von Wiener Horn Klang und Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel von der Orgelempore aus in einem Arrangement von Josef Reif (*1980) interpretiert – fungiert darin als instrumentales Zwischenspiel zwischen zwei Szenen und gilt heute als bekanntestes Stück aus Mascagnis Beitrag zum Einakterwettbewerb eines Verlags. Uraufgeführt wurde die in einem sizilianischen Dorf spielende Geschichte 1890 im Teatro Costanzi in Rom. Mascagni wurde sechzig Mal vor den Vorhang gerufen und erzählte später: „Ich kam und ging wie ein Automat; auf einmal löste sich der Knoten in meiner Kehle und ich begann wie ein Kind zu weinen. Ich fühlte all die Freude, dass ich nun meiner Frau, meinen Kindern und meinem Vater ein komfortables Leben bieten konnte.“
Unbeantwortet!
Das 1908 entstandene und zwischen 1930 und 1935 überarbeitete Werk The Unanswered Question für Holzbläserquartett, Solotrompete und Streichquartett zählt zu den bekanntesten Werken des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874–1954), der mit seiner Freude an neuartigen Klängen und musikalischen Raumwirkungen das Format RAUMKLANG wohl sehr geliebt hätte – überhaupt in der Präsentation durch das Klarinettenensemble der Anton Bruckner Privatuniversität Linz mit einem Arrangement von Gerald Kraxberger (*1964).
Der Werktitel bezieht sich auf eine Textzeile aus dem Gedicht The Sphinx von Ralph Waldo Emerson (1803–1882). Das aus drei musikalischen Schichten bestehende Werk übersetzt Philosophie so auf eindrucksvolle Weise in Musik: Die Streicher repräsentieren laut Ives‘ Vorwort dabei „the silences of the druids – who know, see and hear nothing“, die Trompete stellt „the perennial question of existence“ und die Holzbläser stehen für „the fighting answerers“ und „the hunt for ‚the invisible answer‘“. Die Frage nach dem Sein wird schließlich beantwortet durch „the silence“ und „undisturbed solitude“.
Trostreich!
Bei Anton Bruckners Trösterin Musik, WAB 81b, für vierstimmen Männerchor und Orgel handelt es sich um die auf Wunsch von Rudolf Weinwurm (1835–1911) 1886 mit neuem Text („Musik! Du himmlisches Gebilde“) von August Seuffert (1844–1904) versehene Komposition Nachruf, die anlässlich der Gedenktafelenthüllung 1877 für Bruckners verstorbenen Nachfolger Josef Seiberl (1836–1877) in St. Florian entstanden war. Durch die „Schönheit der Erfindung und Durchführung“ (Morgen-Post, 12. April 1886) begeisterte das als „Novität“ (ebd.) angekündigte Werk im Musikverein Wien am 11. April 1886. Beim RAUMKLANG#25 erklang diese Bruckner-Komposition durch den Wiener Horn Klang aus dem rückwärtigen Teil des Mariendoms in einem Arrangement von Herman Jeurissen (*1952).
Extended!
Bruckners Präludium C-Dur, WAB 129, als „extended version“ ist eine dommusikalische Koproduktion. Die Geschichte des als Perger Präludium bezeichneten Werks mit 27 Takten ist bekannt, die Umstände seiner Erweiterung wohl weniger: Diese stammt von Domorganist Franz Neuhofer (1870–1949), der sie anlässlich der Enthüllung der Bruckner-Gedenktafel am Alten Dom im Juni 1922 zu Papier gebracht, möglicherweise zunächst aber improvisiert und erst nachträglich notiert hat. Die beiden Organisten am Dom – Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel – hatten gut hörbar Freude an diesem rundherum dommusikalischen Werk.
Marianisch!
Eine der schönsten Ave Maria-Vertonungen entstand während Bruckners Zeit als Domorganist in Linz. Das siebenstimmige Werk Ave Maria, WAB 6, wurde im Mai 1861 im Alten Dom uraufgeführt – ein Jahr später erklang das Werk bereits auf dem Dombauplatz bei der Grundsteinlegung zum Linzer Mariendom. Und beim RAUMKLANG#25 musizierten der Wiener Horn Klang und Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel aus dem Presbyterium diese allseits beliebte Motette in einem Arrangement von Manuel Egger (*1990).
Orchestral!
Im Jahr der Grundsteinlegung komponierte Bruckner im Herbst auch den Marsch in d-Moll, WAB 96. Dieser erste selbständige Orchestersatz Bruckners entstand demnach während seines Unterrichts bei Dirigent Otto Kitzler (1834–1915) als Instrumentationsübung – manches weist darin aber bereits auf den späteren Bruckner hin. Seine Uraufführung erlebte das Werk erst bei der Bruckner-Hundertjahrfeier 1924 in Klosterneuburg. Und beim RAUMKLANG#25 erklang dieser Marsch in einer Transkription von Erwin Horn (*1941) von Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel.
Symphonisch!
Der äußerst produktive wallonisch-französische Komponist François-Joseph Gossec (1734–1829) gilt heute als „Vater der französischen Symphonie“. Er profilierte sich in der von Oper und Ballett dominierten französischen Musikkultur seiner Zeit insbesondere mit symphonischen Orchesterwerken. Seine frühen Symphonien beeinflussten Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791), der den „Metuschelach“ (Gossec wurde 95 Jahre alt!) der Klassik als „guten Freund und sehr trockenen Mann“ beschrieben hat. Heute sind Gossecs zahlreiche symphonische Werke großteils vergessen, eine Wiederentdeckung lohnt sich, wie auch die zwei Sätze (Allegro und Rondeau) der Symphonie concertante du Ballet de Mirza durch die Virtuosen Harfenisten und Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel hörbar machten.
Gespiegelt!
Arvo Pärts (*1935) ursprünglich für Klavier und Violine komponiertes Stück Spiegel im Spiegel entstand 1978 als Auftragswerk des russischen Violinisten Vladimir Spivakov (*1944). Bereits im Dezember 1978 führte Spivakov das Werk mit dem Pianisten Boris Bekhterev (*1942) am Moskauer Konservatorium erstmals auf. Heute zählt Spiegel im Spiegel zu den meistgespielten Werken des estnischen Komponisten. Der Stücktitel spiegelt das musikalische Geschehen wider: Jeder aufsteigenden melodischen Linie folgt eine gespiegelte absteigende Phrase. Anfangs besteht die Melodie aus nur zwei Noten, die bei jeder folgenden Phrase um eine Note erweitert wird, sodass ein scheinbar endloses Band entsteht. Die Melodie kehrt dabei stets zum Ton a zurück, laut Pärt ein „returning home after being away“. Der Klavierpart begleitet wie ein „guardian angel“ und enthält – im Sinne des Tintinnabuli-Stils – Klänge kleiner Glöckchen, die einer festen Formel folgend über und unter der Melodielinie zu hören sind. Die erst einfach wirkende Komposition fordert Musizierende heraus, sodass Pärt festhält: „Everything redundant must be left aside. Just like the composer has to reduce his ego when writing the music, the musician too must put his ego aside when performing the piece.“ Und dieses Gefühl hatten die Musiker:innen des Klarinettenensembles der Anton Bruckner Privatuniversität Linz voll verinnerlicht.
Beschwingt!
Aus der Feder des aus St. Petersburg stammenden Nikolai Tcherepnin (1873–1945) – ein Kompositionsschüler und Freund Nikolai Rimski-Korsakows (1844–1908) – stammen die 1910 veröffentlichten Six Quatuors pour 4 Cors, op. 35, die die große Vielseitigkeit des Horns eindrucksvoll präsentieren. Jedes der sechs Stücke (Nocturne, Ancienne chanson allemande, La chasse, Choeur dansé, Chant populaire, Un choral) für Hornquartett fängt dabei eine andere Stimmung ein – der beim RAUMKLANG#25 musizierte Choeur dansé erwies sich als beschwingter Tanz im Dreiertakt mit Ohrwurm-Potential.
Freudig!
Wer kennt den Choral Jesus bleibet meine Freude aus Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Kantate Herz und Mund und Tat und Leben, BWV 147, nicht? Bach hatte die Kantate zunächst in Weimar für den vierten Advent 1716 komponiert und 1723 in Leipzig schließlich für das Fest Mariä Heimsuchung erweitert. Die musikalisch identischen Schlusschoräle des ersten und zweiten Teils der Kantate (Wohl mir, dass ich Jesum habe – Jesus bleibet meine Freude) mit der Choralmelodie von Johann Schop (um 1590–1667) zählen wohl zu den bekanntesten Choralbearbeitungen Bachs. Und so sah man beim RAUMKLANG#25 viele Zuhörende im Auditorium, die die Interpretation der von Alfred Reed (1921–2005) erstellten Bearbeitung durch das Klarinettenensemble der Anton Bruckner Privatuniversität Linz und Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel sichtlich genossen.
Umstritten!
Richard Wagners (1813–1883) 1842 im Königlichen Hoftheater in Dresden uraufgeführte Oper Rienzi erzählt – basierend auf dem 1835 erschienenen Roman des englischen Schriftstellers Edward Bulwer-Lytton (1803–1873) – von Aufstieg und Fall des bis heute umstrittenen römischen Volkstribuns Cola di Rienzo (1313–1354). Mit Rienzi gelang Wagner der Durchbruch, auch wenn er das Werk voll Italianità bereits im Jahr 1845 als „Jugendsünde“ abtat und als „Schreihals“ einstufte. Noch konnte man den späteren Wagner darin nur erahnen, die Oper zeigt noch deutliche Elemente der Grand opéra eines Giacomo Meyerbeer (1791–1864). Während des nationalsozialistischen Regimes wurde die Oper für Propaganda missbraucht, sodass Wagners Frühwerk erst seit einigen Jahrzehnten wieder auf Bühnen zu finden ist. Der Wiener Horn Klang musizierte beim RAUMKLANG#25 den Chor der Friedensboten in einem Arrangement von Erich Pizka (1914–1996).
Vereint!
Pedro José (Josef) Blanco (um 1750–1811) – viel ist nicht über das Leben des Komponisten bekannt. Einige Zeit wirkte er jedenfalls als Organist und Harfenist (eine in Spanien tatsächlich nicht unübliche Kombination!) an der Catedral de Santa María y San Julián im neukastilischen Cuenca, möglicherweise war er auch an der Catedral de Santa María im nahe Portugal gelegenen Ciudad Rodrigo tätig, da im Notenarchiv dieser Kathedrale 1957 das einsätzige Concerto in G für zwei Orgeln entdeckt wurde. Das Werk ist in Sonatenform angelegt, kennt demnach Exposition, Durchführung, Reprise und Coda und erinnert in seinen harmonischen Rückungen an Ludwig van Beethovens (1770–1827) erste Schaffensperiode. Zum Konzertfinale vereinten sich in Blancos Concerto in einem Arrangement von Werner Karlinger (*1967) schließlich alle an diesem besonderen Konzertabend im Mariendom Beteiligten zu einem fulminanten Abschluss des RAUMKLANG#25, um musikalisch auszurufen: Musizieren beim RAUMKLANG – das ist einfach Lebensfreude pur!
Für diesen faszinierenden Abend zum domorgelsommerlinz24-Finale gab's minutenlangen Applaus und Standing Ovations für die Mitwirkenden, die das Musizieren selbst auch sicht- und hörbar genossen hatten!
Stefanie Petelin
Robert Wosak (Mariendom 1924, modifiziert) | Robby McCullough/unsplash.com/Unsplash License (Hintergrund, modifiziert) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Montage) (Sujet) | Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin und Dommusikverein Linz/Florian Zethofer (Konzertfotos)