PORTRAITS
Mit Musik von Anton Bruckner (1824–1896), Sigfrid Karg-Elert (1877–1933), Franz Liszt (1811–1886), Camille Saint-Saëns (1835–1921) und Robert Schumann (1810–1856) zeichnete Michaela Aigner beim domorgelsommerlinz24 in ihrem Matineekonzert am 25. August 2024 spannende musikalische PORTRAITS.
Portrait I: Anton Bruckner im Selbstportrait
Michaela Aigner eröffnete ihr Konzert mit Anton Bruckners Vorspiel und Fuge c-Moll, WAB 131. Bruckner ließ das Werk aus dem Jahr 1847 unvollendet, eine Ergänzung des Notentexts wurde später von mehreren Interpreten vorgenommen, unter anderem von Hans Haselböck und Erwin Horn. Bruckners Autograph der Fuge über ein c-Moll-Thema ist mit 15. Januar 1847 datiert, dort verrät Bruckner auch die Idee seiner Komposition: „NB. Versuchen / versch Contr.“ Der Fuge fügte er schließlich ein zwölftaktiges Vorspiel hinzu, das melodisch und rhythmisch das Thema der Fuge andeutet und mit dichten Alterationsklängen arbeitet. Trotz des von Bruckner intendierten Übungscharakters der Komposition und der skizzenhaften Erscheinung des Autographs zählt Vorspiel und Fuge c-Moll heute zu den bekanntesten Orgelwerken des oberösterreichischen Komponisten.
Portrait II: Franz Liszt – Richard Wagner
Mit Franz Liszts Chor der jüngeren Pilger aus Tannhäuser von Richard Wagner, LW.E10a (S.676/1), blieb Michaela Aigner im Umfeld Anton Bruckners. Richard Wagner (1813–1883) war mit seinem am 10. Oktober 1845 uraufgeführten Tannhäuser, WWV 70, nie ganz zufrieden, darum nahm er immer wieder Änderungen an seiner Oper vor. Laut einer Tagebuchnotiz seiner Frau Cosima war Wagner selbst noch an seinem Todestag der Meinung, er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig.
Das Bearbeiten von Musik anderer Komponisten für das eigene Instrument Klavier gehörte zeitlebens untrennbar zu Franz Liszts künstlerischer Existenz. Vielfach verläuft die Grenze zwischen Komposition und Bearbeitung dabei nahezu fließend. Liszts Opernbearbeitungen erscheinen wie ein Spiegel der Operngeschichte des 19. Jahrhunderts: Ob Mozart oder Rossini, ob Bellini oder Meyerbeer, ob Berlioz oder Tschaikowsky, ob Weber oder Verdi – alle sind mit dabei. Und natürlich auch Richard Wagner, dem er mit 19 Bearbeitungen aus Wagner-Opern (Wagner-Transcriptionen) die größte Aufmerksamkeit widmete und durch diese Bearbeitungen auch einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung von Wagners Bühnenwerken bei einem breiteren Publikum außerhalb der Opernhäuser leistete. Bei der Bearbeitung des Tannhäuser leitete Liszt der Gedanke „approprier à ma façon“ (Brief von Franz Liszt an Richard Wagner, 26. Februar 1849, im Wortlaut: „Ni plus ni moins que de m’approprier à ma façon, pour le Piano, l’ouverture de Tannhäuser, et toute la scène: 'O du mein holder Abendstern' du 3me acte.“) – allerdings geriet er dabei in Konflikt mit der Verkäuflichkeit der Arrangements. Denn Arrangements, die aufgrund ihrer Schwierigkeit spieltechnisch nur von Virtuosen wie Franz Liszt selbst musiziert werden konnten, waren für Verlage letztlich nicht brauchbar.
In einem Großteil von Liszts Wagner-Bearbeitungen ist der Anteil der Transkription des Wagner-Originals größer als die zugegebenen Liszt'schen Zutaten. Den Pilgerchor aus Richard Wagners Tannhäuser bearbeitete Liszt dabei mehrere Male – es existieren zwei Fassungen für Klavier (S.443/1 bzw. LW.A210a vom 22. Oktober 1862 und S.443/2 bzw. LW.A210b von 1885) sowie zwei Fassungen für Orgel (S.676/1 bzw. LW.E10a von 1860 und S.676/2 bzw. LW.E10b von 1862). Dieser Pilgerchor erklingt übrigens am Anfang des dritten Aufzugs der Oper, als sich der Pilgerzug aus Rom – ohne Tannhäuser – der Wartburg nähert.
Portrait III: Camille Saint-Saëns im Selbstporträt
In die französische Orgelmusik entführte schließlich Camille Saint-Saëns‘ Allegretto, dem vierten der zwischen 9. Dezember 1916 und 12. Februar 1917 während seiner Rekonvaleszenz von einer Bronchitis entstandenen Sept Improvisations pour orgue, op. 150. Uraufgeführt wurde das Werk rund einen Monat später in Marseille, Nizza und Lyon. Mit Ausnahme der Fantaisie pour orgue-Aeolian von 1906 handelt es sich bei den Sept Improvisations um die ersten Orgelwerke, die er seit Trois Préludes et Fugues, op. 109, im Jahr 1898 komponiert hatte. Dank Saint-Saëns‘ ehemaligem Schüler und Freund Albert Périlhou (1846–1936), der ab 1891 als Titularorganist in Saint-Séverin in Paris wirkte, wandte sich der Komponist nach seinem Rücktritt an La Madeleine 1878 wieder der Orgel zu. In Saint-Severin besuchten Saint-Saëns und Gabriel Fauré (1845–1924) Perilhou regelmäßig auf der Orgelempore, wo die drei Freunde beim sonntäglichen 11-Uhr-Gottesdienst gerne improvisierten, bevor sie gemeinsam Mittagessen gingen. Laut einem Bericht von Félix Raugel (1881–1975) aus dem Jahr 1927 „verblüffte Saint-Saëns seine Zuhörer mit dem Magie seiner großartigen Improvisationen“ – insofern verwundert es nicht, dass ihm im November 1897 in dieser Kirche der Titel eines l’organiste honoraire verliehen wurde. Interessanterweise wurde das Werk Sept Improvisations nicht Perilhou gewidmet, sondern Eugene Gigout (1844–1925), den Saint-Saëns als einen der besten Improvisatoren dieser Zeit ansah.
Portrait IV: Sigfrid Karg-Elert – Anton Bruckner
Namensgebend für das Konzert mit seiner musikalischen Galerie war die Sammlung mit Stilkopien von Palestrina bis Schönberg, aus der das Portrait Adagio (Alla Bruckner) stammt. In 33 Portraits für Harmonium, op. 101, gewidmet Dr. Josef Weber, ist das Werk zu Bruckner als Nummer 22 gelistet. Neben einem Portrait von Bruckner finden sich darin unter vielen weiteren Portraits von Palestrina und Orlando di Lasso, Rameau und Couperin, aber auch von Bach und Händel, Haydn, Mozart und Beethoven. Auch MacDowell und Sinding, Mendelssohn und Schumann, Liszt und Wagner sind vertreten wie übrigens auch der Bruckner-Antipode Johannes Brahms (1833–1897) und der noch weiter als Karg-Elert selbst in die Moderne reichende Arnold Schönberg (1874–1951). So bemerkt das Inhaltsverzeichnis dieser Stücke: „Die einzelnen Stücke sind im Stil der hier genannten Komponisten gehalten.“ Über deren Ausarbeitung saß Karg-Elert wohl schon im Juni 1906, als er schrieb: „Meine ‚Portraits‘ für Harm. solo vermehren sich allmählich immer mehr, gestern habe ich Rameau!, Hasler (!!!) [Sic!], Scarlatti abkonterfeit, zum Stürzen!!, ich gehe jede noch so hohe Wette ein, daß Fachmusiker an die authentische Echtheit dieser 3 alten Knaben glauben …, ‚waschecht‘ ist auch Liszt (der katholische Kirchenkomp. ist hier gemeint), Brahms, Grieg; Seitenhiebe hagelt es auf Reger und Strauss ..., diese Geburtswehen dieser Knaben machen mir stets ein besonderes Gaudium. […] Mancher wird freilich die ‚Scherze‘ falsch verstehen… Aber die Sachen sind doch als ‚Capricen‘ recht wohl zu verantworten… Diese Portraits, die NB keine Achtelnote fremder Werke enthalten, sondern neu im Geist der betr. Meister geschrieben sind, geben ein vollkommen deutliches Bild vom Stil, von der Eigenart, der Handschrift. Man dokumentiert eklatant, daß man seine Meister bis aufs Bauchknöpfchen genau studiert hat und kennt! Aber eine Opuszahl sollen sie nicht bekommen …“ (Brief an Carl Simon, 29. Juni/2. Juli 1906) Dennoch bekamen sie die Opuszahl 101.
Sigfrid Karg-Elert (1877–1933); 33 Portraits für Harmonium, op. 101: 22. Adagio (Alla Bruckner) | Rudigierorgel: Michaela Aigner
Portrait V: Robert Schumann – Johann Sebastian Bach
In die musikalische Galerie von Michaela Aigner reihte sich auch Robert Schumanns Fuga VI. Mässig, nach und nach schneller aus den Sechs Fugen über den Namen BACH für Orgel oder Pianoforte mit Pedal, op. 60, ein. Die Sammlung wurde – wie auch die Studien für den Pedalflügel, op. 56, und die Skizzen für den Pedalflügel, op. 58 – 1845 komponiert und 1846 nach einer Überarbeitung zwischen März und Juni 1846 schließlich im November 1846 im Leipziger Verlag Whistling veröffentlicht. Alle zwischen März und November 1845 entstandenen sechs Fugen beginnen ihre Themen mit den Tönen B-A-C-H als musikalische Chiffre für und Hommage an den verehrten Altmeister Johann Sebastian Bach (1685–1750) – die Beschäftigung mit Bachs Werken, das Studium von Kontrapunkt und Fuge halfen ihm aus einer ab Mitte 1843 zu beobachtenden Schaffenskrise. Diesen Schwerpunkt auf Bach-, Orgel- und Kontrapunktstudien teilte Schumann mit seiner Frau Clara – das von Alma Teibler in der Vorwoche in KALEIDOSKOP musizierte Werk aus Drei Präludien und Fugen für Klavier, op. 16, ist auch in diesem Kontext zu sehen. Ins Jahr 1845 fällt auch die Veröffentlichung von Felix Mendelssohn Bartholdys Sechs Sonaten für die Orgel, op. 65 (MW SD 31, die dritte Sonate erklang in Andreas Etlingers ERINNERUNGEN), die Robert Schumann intensiv studierte und so durchaus als Inspiration der Sechs Fugen über den Namen BACH zu sehen sind. In den Sechs Fugen verbindet Schumann Barock-Stilkopien mit charakteristischen Merkmalen der Musik der Romantik sowie seines Personalstils, sodass die als symmetrischer Zyklus angelegten sechs Fugen gelegentlich auch als „romantische Charakterstücke“ bzw. „Charakterfugen“ gedeutet wurden. Wie die erste Fuge (beide sind auch im 4/2 Takt und in B-Dur notiert) weist die von Michaela Aigner interpretierte sechste Fuge (Mässig, nach und nach schneller) den ruhigen Charakter und das Prinzip der Steigerung auf. Die als Doppelfuge angelegte Komposition exponiert zwei Themen zunächst einzeln, um diese dann miteinander durchzuführen.
Schumann selbst schätzte seine Sechs Fugen sehr, sodass er gegenüber seinem Verleger Whistling in einem Brief vom 15. März 1846 von einer „[…] Arbeit, von der ich glaube, daß sie meine anderen vielleicht am längsten überleben wird“, sprach. In der Neuen Zeitschrift für Musik lobte der Magdeburger Domorganist August Gottfried Ritter die Sechs Fugen: „Allein die Eigenschaft des Orgelmäßigen beruht hier nicht blos auf den angewandten Formen; sie liegt tiefer, sie liegt in der Sache selbst. Die Großartigkeit des wunderbaren Instruments spiegelt sich wieder [sic!] in der Großartigkeit der Ideen, in dem Maße ihrer Verarbeitung.“ (Neue Zeitschrift für Musik, Sechsundzwanzigster Band, Nr. 50, 21. Juni 1847, S. 211) Am Ende formuliert Ritter: „Der gebildete und tüchtige Orgelspieler wird sehr bald darüber [Anm. der Verf. SP: über die Charakteristik der einzelnen Sätze] im Klaren sein, und für die Herren Schwachmatici (wie unser lieber Freund, Hans Grobgedackt [Anm. d. Verf. SP: gemeint ist der deutsche Musikschriftsteller und Komponist Oswald Lorenz (1806–1889)], sagen würde) sind die Fugen nicht geschrieben.“
Summa summarum: Michaela Aigner erhielt begeisterten, kräftigen Applaus für ihre musikalische Galerie von PORTRAITS – völlig zu Recht!
Stefanie Petelin
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