Ein Krebs im Kittel
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel musizierten am 12. Mai 2024 im Rahmen der ORGEL.LITURGIE im Mariendom Linz galante Orgelmusik von den beiden Bach-Schülern Johann Ludwig Kittel (1732–1809) und Johann Ludwig Krebs (1713–1780), eingerichtet für zwei Orgeln. Mit der Gemeinde im Linzer Mariendom feierte Dompfarrer Maximilian Strasser.
Johann Ludwig Krebs – der „einzige Krebs in meinem Bache“
Während der Gabenbereitung und zum Auszug erklangen von beiden Orgeln Klänge aus der Feder von Johann Ludwig Krebs, zunächst die Fantasia pro organo in F, Krebs-WV 419, anschließend die Fantasia in F, Krebs-WV 418.
Ein kurzer Blick auf das Leben und Wirken des Komponisten: Johann Ludwig Krebs wurde 1713 in Buttelstedt nahe Weimar als Sohn des Kantors Johann Tobias Krebs – selbst Schüler Johann Sebastian Bachs (1685–1750) – geboren. 1726 bis 1735 besuchte er die berühmte Thomasschule in Leipzig. In diese Zeit fällt sein enger Kontakt zu Johann Sebastian Bach: Krebs war neun Jahre lang Privatschüler und Notenkopist von Thomaskantor Johann Sebastian Bach. Nach Abschluss der Thomasschule studierte Krebs zwei Jahre lang Philosophie an der Universität Leipzig. Bach stellte Krebs ein ausgezeichnetes Zeugnis und Empfehlungsschreiben aus, sodass dieser 1737 die Stelle als Organist an St. Marien in Zwickau („Zwickauer Dom“) erhielt, wo er auf einer in schlechtem Zustand befindlichen Zschugh-Orgel seinen Dienst versah. Sein Bemühen um eine Silbermann-Orgel blieb erfolglos, so wechselte er 1744 als Schlossorganist ans Schloss Zeitz im südlichen Sachsen-Anhalt. Seine Bewerbung um das Thomaskantorat als Nachfolger Bachs (1750) und um das Organistenamt an der Silbermann-Orgel in der St. Johannis-Kirche in Zittau (1753) scheiterten, sodass er 1756 als Organist an den Hof Friedrichs III. von Sachsen-Gotha-Altenburg wechselte, wo er schließlich am Neujahrstag des Jahres 1780 starb.
Johann Ludwig Krebs (1713–1780): Fantasia pro organo in F, Krebs-WV 419 | Rudigierorgel: Dommusikassistent Gerhard Raab | Chororgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Erhalten sind über 200 Werke des „einzigen Krebs in meinem Bache“, wie Johann Sebastian Bach ihn scherzhaft charakterisiert haben soll. Johann Ludwig Krebs nahm unter den Bach-Schülern eine besondere Stellung ein – bereits zu Lebzeiten galt Krebs als außergewöhnlicher Komponist und geschickter Organist mit virtuosen Fähigkeiten. Sein Werk besticht durch einen eigenen Stil, der auf originelle Weise spätbarocke Elemente mit Elementen des galanten und empfindsamen Stils verbindet. Die in der ORGEL.LITURGIE musizierten Fantasien sind kurze Stücke mit unterschiedlicher, aber in beiden Fällen (wie auch in den anderen drei erhaltenen Fantasien in F- bzw. G-Dur) lockerer formaler Gestaltung. In der autographen Hauptquelle bilden die fünf, vermutlich noch in den Leipziger Studienjahren des Komponisten entstandenen Fantasien einen geschlossenen Korpus.
Johann Christian Kittel – der „letzte Schüler Bachs“
Johann Christian Kittels Werke erklangen in der ORGEL.LITURGIE am 12. Mai 2024 zum Einzug und zur Kommunion. Der Blick auf das Leben des Komponisten verrät: Johann Christian Kittel wurde 1732 in Erfurt als jüngstes von acht Kindern des Strumpffabrikanten Johann Salomon Kittel und dessen Frau Juliane Elisabetha geboren. Seine Ausbildung erhielt Kittel in der Erfurter Predigerschule und im Ratsgymnasium (vermutlich bei Jakob Adlung). 1748 zog Kittel – vermutlich mit dem Vorsatz, bei Johann Sebastian Bach Privatunterricht zu nehmen – nach Leipzig; sein Aufenthalt dort ist jedenfalls bis kurz nach Bachs Tod 1750 belegt. Mehreren Bewerbungsschreiben Kittels ist zu entnehmen, dass er Unterricht in Komposition und Orgel bei Bach genoss und als Continuo-Spieler unter Bachs Leitung wirkte. 1751 wurde er schließlich Organist an der Marktkirche St. Bonifacius in Langensalza, wo er ein Jahr später die Bürgerstochter Dorothea Friderica Fröhmer ehelichte. 1756 kehrte Kittel nach Erfurt zurück und übernahm das Organistenamt an der Barfüßerkirche, wo er einem großen Schülerkreis Bachs Kompositions- und Spieltechnik vermittelte. Seine erfolgversprechende Bewerbung um das Organistenamt in Zeitz aus dem Jahr 1756 vereitelte der Siebenjährige Krieg – denn dieser verhinderte seine Anreise zum Probespiel. So wurde Kittel 1762 nach dem Tod Adlungs zu dessen Nachfolger als Organist an der Predigerkirche. Er betätigte sich in den folgenden Jahren als Komponist und Pädagoge. 1770 verließ er Erfurt für kurze Zeit und zog für ein Jahr nach Hamburg – Grund dafür waren Schulden, die er nicht durch den Verkauf seiner Bibliothek und seiner Sammlung physikalischer Elemente tilgen wollte. Nach seiner Rückkehr nach Erfurt begann er mit der Herausgabe eigener Kompositionen. Kittel starb 1809 in seiner Heimatstadt. Seine Bedeutung liegt vor allem in der Pflege und Weitergabe der Tradition Bachs, als dessen „letzter Schüler“ er gilt.
In Der angehende praktische Organist (Dritte Abtheilung, S. 33) berichtet Kittel 1808 über seinen Lehrer: „Der fleißige Kontrapunktist hört nicht leicht eine Musik von einem fremden Meister, ohne jede von diesem versäumte Gelegenheit zu einer schönen canonischen Nachahmung zu bemerken und schmerzlich zu bedauern: dem fleißigen Melopoiet fällt immer zuerst das Matte, Gezwungene, Rauhe, in der Melodie – dem fleißigen Harmonicker das leere, einförmige Tongeklingel in der Harmonie auf. Wenn Seb. Bach eine Kirchenmusik aufführte, so mußte allemal einer von seinen fähigsten Schülern auf dem Flügel accompagnieren. Man kann wohl vermuten, dass man sich da mit einer magern Generalbassbegleitung ohnehin nicht vor wagen durfte. Demohnerachtet mußte man sich immer darauf gefasst halten, dass sich oft plötzlich Bachs Hände und Finger unter die Hände und Finger des Spieles mischten und, ohne diesen weiter zu geniren, das Accompagnement mit Massen von Harmonien ihn ausstaffirten, die noch mehr imponirten, als die unvermuthete nahe Gegenwart des strengen Lehrers.“
Die 16 Großen Präludien für Orgel gelten als Kittels Hauptwerk – die meisten dieser Stücke lehnen sich dabei zwar thematisch an Bachs Orgel- und Klavierwerke an, präsentieren sich in der Ausarbeitung aber im Geist des galanten Stils. In der ORGEL.LITURGIE erklangen Kittels Praeludium in D-Dur aus dieser Sammlung (Nr. 5), sowie Einige Veränderungen über den geistlichen Gesang „Wer nur den lieben Gott [läßt walten]“ aus der Sammlung von Choral:Vorspielen, Ausgeführten Chorälen und andern Stücken für die Orgel.
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Sujet, Fotos der ORGEL.LITURGIE)