... ganz Gott und Mensch!
Am Beginn der Zeit der Vorbereitung auf die Menschwerdung Gottes luden Gerhard Raab und Angelika Stummer am 3. Dezember 2023 ab 17.00 Uhr zu einem Adventimpuls, der sich in TÖNEN & WORTEN jenem widmete, der „wesenhaft ganz Gott und Mensch“ ist. Die halbe Stunde in der Advent-am-Dom-Reihe TÖNE & WORTE im Dom am ersten Adventssonntag bot Zeit zum Innehalten und Stillwerden mit Orgelmusik von Gerhard Raab und meditativen Impulstexten von Angelika Stummer.
Musikalisch wandte sich Gerhard Raab zwei Komponisten zu, derer 2023 vielerorts gedacht wurde und wird: Anton Heiller (1923–1979) und Augustinus Franz Kropfreiter (1936–2003). Die in TÖNE & WORTE im Dom musizierten Werke hatten beide das Adventslied Nun komm, der Heiden Heiland als Basis. Dabei handelt es sich um ein Werk Martin Luthers (1483–1546), das auf den altkirchlichen Hymnus Veni redemptor gentium des Ambrosius von Mailand (339–397) zurückgeht. Der Lutherchoral galt über Jahrhunderte als „das“ protestantische Adventslied, was die zahlreichen – insbesondere barocken – Bearbeitungen des Liedes für verschiedene Besetzungen erklärt.
Kropfreiter: Altes trifft Neues | Anspruch trifft Schlichtheit
Augustinus Franz Kropfreiters sechssätzige Partita Nun komm, der Heiden Heiland stammt aus dem Jahr 1976 (Datierung: 11. November 1976). Das taktstrichlos notierte Werk erweckt durch seine Darstellungsform den Eindruck von alter Orgelmusik, dabei geht Kropfreiters Anlage eine Synthese zwischen kompositorischem Reichtum und schlichter Darstellung ein. Die Komposition ist „Hans Vollenweider in Freundschaft gewidmet“. In Ich über mich – Ein Monolog von 1999 listet Kropfreiter den Schweizer Organisten und Komponisten Hans Vollenweider (1918–1993) unter anderem neben Gaston Litaize (1909–1991), Viktor Schlatter (1899–1973), Pierre Segond (1913–2000), P. Theo Flury OSB (*1955) und Kurt Neuhauser (1934–2002) unter die zahlreichen österreichischen und internationalen Organisten, die er kennenlernen durfte. Uraufgeführt wurde das Werk allerdings nicht vom Widmungsträger selbst, sondern von der in enger Verbindung mit Augustinus Franz Kropfreiter stehenden Organistin Hedwig Ebermann (1920–2007) am 12. Dezember 1976 in der Basilika Enns-St. Laurenz. Der Widmungsträger von Kropfreiters Partita steht allerdings in Verbindung mit der Herausgeberin der Variationen von Heiller. Denn Monika Henking war 1970 die Nachfolgerin von Hans Vollenweider (der 1969 zum Grossmünsterorganisten berufen worden war) an der Kuhn-Orgel in der Reformierten Kirche in Thalwil, der beim Neubau der Orgel dieser Kirche 1946 als junger Organist auch seine persönlichen Wünsche in das Instrument einbringen konnte.
Heiller: Notation trifft Improvisation | Barock trifft Moderne
Zum 100. Geburtstag von Anton Heiller musizierte Raab die Variationen über Nun komm‘, der Heiden Heiland, die nicht als Komposition im klassischen Sinne, sondern als Improvisationsmodelle entstanden sind. So berichtet die Herausgeberin und Schülerin Heillers Monika Henking (*1944) im Nachwort der 1984 bei Doblinger erschienen Variationen über die Entstehungs- und Editionsgeschichte des Werkes: „Im September 1972 erhielt Anton Heiller eine Einladung, mit mir zusammen aus Anlaß des ‚Eucharistischen Kongresses‘ im Dom zu Udine ein Konzert auf zwei Orgeln zu spielen. […] Das Programm umfaßte süddeutsche und italienische Musik, abwechselnd oder gemeinsam gespielt. Am Schluß des Programmes stand eine Improvisation über die Choräle ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘, ‚Nun komm, der Heiden Heiland‘ und ‚Wie schön leuchtet der Morgenstern‘. Heiller improvisierte über den ersten und dritten Choral auf der Epistelorgel, und ich spielte dazwischen die zu diesem Zweck ca. zwei Wochen zuvor von Heiller aufnotierte ‚Quasi-Improvisation‘ über ‚Nun komm, der Heiden Heiland‘. Einige Zeit später sprach ich mit Anton Heiller über die Möglichkeit einer Veröffentlichung dieser Stücke, aber er wollte dieses Werk nicht als gedruckte Komposition herausgeben. Hingegen freute er sich, wenn ich die Stücke gelegentlich in Gottesdiensten oder kleineren Konzerten spielte. Eine Kopie des Manuskripts nahm er – undatiert – mit nach Wien.“ (S. 12) Und dieses Manuskript fanden Erna und Bernhard Heiller nach Anton Heillers Tod, ohne mehr über die Hintergründe und Zeit der Entstehung des Werks zu wissen, das Heiller in Monika Henkings Exemplar mit „für Moni – für Udine, 14.9.1972, Anton Heiller“ signiert hatte – rein stilistisch hielten Familie wie Heiller-Schüler Peter Planyavsky (*1947) das Werk zu diesem Zeitpunkt für eines aus den 1940er-Jahren, passend zu seinen frühen Cantus-firmus-Bearbeitungen.
Dass sich Henking gegen Heillers Willen für eine posthume Veröffentlichung der acht Variationen, die erst im Zuge der Edition als solche tituliert wurden, entschieden hat, begründet sie im Nachwort der Variationen: „Ich glaube, dieser Entschluß wäre heute auch in Heillers Sinn, da es sich um äußerst reizvolle, auch liturgisch gut verwendbare Stücke handelt.“ Und das hörte man im Linzer Mariendom.
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Florian Zethofer