RAUMKLANG: SAXAPPEAL!
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber und Dommusikassistent Gerhard Raab haben die 5890 Pfeifen der Rudigierorgel und die 1680 Pfeifen der Chororgel stets fest im Griff und ziehen für die Zuhörenden alle Register, um den Mariendom mit Klang zu füllen. Besonders eindrucksvoll sind Liturgien und Konzerte, in denen die beiden das Auditorium von vorne und hinten in Klang hüllen. Das musikalische I-Tüpfelchen gibt‘s beim RAUMKLANG, wenn sich zu den zwei Orgeln andere Instrumente hinzugesellen, wie am 7. September 2023 die Saxophone von SAX12 ... wahrlich ein RAUMKLANG mit viel SAXAPPEAL und mit Dom-Dolby-Surround zum domorgelsommerlinz23-Finale!
Gegründet wurde das Gastensemble SAX12 als Saxophonorchester des Oberösterreichischen Landesmusikschulwerks mit – und daher stammt auch der Name des Ensembles – anfänglich zwölf Saxophonist:innen, der Standardbesetzung eines Saxophonorchesters, in dem alle Bauformen des Saxophons vom Sopraninosaxophon bis zum Basssaxophon vertreten sind. Inzwischen variiert die Ensemblebesetzung der seit 2022 von Philipp Haider geleiteten Formation entsprechend des jeweiligen Projekts.
Audiofeature zum RAUMKLANG: SAXAPPEAL! | Gestaltung: Dommusikverein Linz
Urban Sketching mit Musik!
Beim eröffnenden Ciudades, das ein Saxophonquartett (Andrea Edlbauer, Marina Nentwich, Evelyne Leeb, Johanna Kirner) in der Votivkapelle musizierte, handelt es sich um eine Serie musikalischer Skizzen von Städten, die für den niederländischen Komponisten Guillermo Lago (*1960) von Bedeutung sind. Die für das Amstel Quartet entstandene Komposition ist als work in progress zu sehen; von Zeit zu Zeit kommen daher neue Städteporträts hinzu. Die Skizze zu Sarajevo widmete Lago seinem Freundeskreis in der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt, in der er nach Ende des Krieges beim Wiederaufbau einer Saxophonklasse an der Muzička Akademija Univerziteta u Sarajevu geholfen und mit Adnan Cico und anderen Musicians Without Borders das Ensemble Winds of Change gegründet hatte.
Tor in neue Zeiten!
Aus Claudio Monteverdis (1567–1643) Vespro della Beata Vergine von 1610 stammte das von Philipp Haider für Saxophonensemble und Gerhard Raab an der Chororgel arrangierte Domine ad adjuvandum me festina, das als Responsorium Teil des Invitatoriums dieser Marienvesper ist. Der italienische Komponist präsentiert darin ungewöhnliche Ideen und fortschrittliche Stilexperimente. Auf diese Weise prägte er eine neue Art sakraler Musik – wo bislang formale Strenge herrschte, verlagerte er den Schwerpunkt auf inhaltlich-emotionalen Ausdruck und öffnete damit das Tor in neue Zeiten ...
Hommage an Grieg!
„Komponiert am Todestage meines unvergeßlichen Gönners“, verriet Sigfrid Karg-Elert (1877–1933) über Vor dem Bildnis Griegs, das der Sanitätsrat Heinrich Fülles zugeeigneten Sammlung Intarsien von 1911 entstammt. Für die kompositorische Entwicklung Karg-Elerts war Edvard Grieg von prägender Relevanz, wenn auch unklar bleibt, wann sich die beiden erstmals begegneten. Karg-Elert empfand zeitlebens eine schwankende, doch nie endende Verbundenheit zu dem Norweger und seiner Kunst. Die im Konzert in einer Fassung für zwei Orgeln (Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Rudigierorgel und Gerhard Raab an der Chororgel) musizierte Hommage fängt die Charakteristik nordischer Klangwelten ein und zitiert ein Motiv aus Det var i min Ungdom/Es war in meiner Jugend aus Griegs 1896 erschienener Sammlung 19 norske folkeviser.
Klang des Nordens!
Edvard Grieg (1843–1907) komponierte Fra Holbergs tid (Aus Holbergs Zeit) anlässlich des 1884 gefeierten 200. Geburtstags von Ludvig Holberg, dem „Molière des Nordens“. Aus der fünfsätzigen, zunächst für Klavier komponierten Suite, die formal dem Stil höfischer Tänze des 18. Jahrhunderts nachempfunden, aber mit Melodik und Harmonik des 19. Jahrhunderts kombiniert ist, musizierte SAX12 das festliche Praeludium und die lyrische Sarabande in einem Arrangement von Philipp Haider. Grieg eignete sein Werk der Pianistin Erika Lie-Nissen zu.
Rätsel über Rätsel!
Mit der Uraufführung der Enigma-Variations, von Edward Elgar (1857–1934) als Variations on an Original Theme bezeichnet und „my friends pictured within“ gewidmet, in der Londoner St. James’s Hall 1899 unter Dirigent Hans Richter schlug die Geburtsstunde des ersten symphonischen Meisterwerks englischer Provenienz. Elgar war die Idee dazu 1898 beim Improvisieren am Klavier gekommen, wo es ihm Vergnügen bereitete, ein eigenes Thema so zu variieren, wie es Menschen aus seinem Umfeld getan hätten, „if they were asses enough to compose“. Elgars Wahrnehmung derselben lässt sich aus der Musik ableiten; der Bericht My Friends Pictured Within (1929) gibt weitere Kommentare zu den musikalischen Charakterzeichnungen der einzelnen Variationen, die zunächst Rätselraten beim Publikum auslösten. „You are Nimrod“, hatte Elgar seinem Freund und Verleger August Jaeger schon 1898 per Brief verraten und betont, dass das Ergebnis seines skurrilen Einfalls wissende Hörer:innen erheitern und unwissende Hörer:innen nicht stören werde. Das Rätsel um die Identität der Personen ist gelöst, ungelöst bleibt jedoch das Rätsel um das im Manuskript notierte Wort „Enigma“ und Elgars Hinweis auf das „dunkle Geheimnis“ und ein „anderes, größeres Thema, das durch den ganzen Satz geht, aber nicht gespielt wird“. Gespielt wurde mit Nimrod, bekannt als „tüchtiger Jäger“ (1 Mose 10,9), jedenfalls eine ergreifende Erinnerung Elgars an seinen engen Vertrauten, arrangiert von Philipp Haider für Saxophone und Chororgel (Gerhard Raab).
Liebe zur Improvisation!
Natürlich darf bei einem RAUMKLANG eine Improvisation von Domorganist Wolfgang Kreuzhuber (*1957) an der Rudigierorgel als seiner Lebensliebe nicht fehlen. Klanglich gliederte sich die tänzerisch-bewegte Improvisation in die gespielten Saxophonstücke ein: Ein ständig nach vorne drängender Rhythmus im Pedal unterlegte vier Verdichtungen des Satzes.
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): Freie Improvisation | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Für die Erde!
Das von Philipp Haider für Solosaxophon (Georg Palmanshofer musizierte dabei in luftigen Höhen von der Empore über der Sakristei aus), Saxophonensemble und Orgel arrangierte Infinity ist eine Co-Komposition des Saxophonisten Philippe Geiss (*1961) und des Pianisten Jean-François Zygel (*1960). Das Auftragswerk des MIT Saxophone Ensemble wurde 2018 in der Taipeh National Concert Hall uraufgeführt. Die Schöpfer widmeten die Uraufführung des mit Choral pour la Terre untertitelten Werks den Opfern des Terroranschlags von Straßburg wenige Wochen zuvor, um auf diese Weise ihre Solidarität mit all den Betroffenen weltweit zu zeigen. Die auf mittelalterlicher Harmonie basierende Komposition ist dem saxophonspielenden Astronauten Thomas Pesquet gewidmet: „He told me that for him our planet is like a small boat with no lifeboat. That was a great and deep inspiration“, so Geiss, der dem befreundeten Pesquet zu dessen 39. Geburtstag ein Saxophon auf die ISS schickte. Die unendliche Weite des Universums ist eingefangen in Infinity, das für Geiss auch ein Weckruf ist: „I think about our planet because we have really to take care of our planet.“
Musik aus Glass!
Die im Querschiff von Andrea Edlbauer und Marlene Schaumberger musizierte Recerca II für Solosaxophon des spanischen Saxophonisten David Salleras (*1980) hat ihre Inspirationsquelle im musikalischen Minimalismus von Philipp Glass. Gewidmet ist das 2020 veröffentlichte Stück dem valencianischen Saxophonisten David Pons Grau. Die von Interpret:innen große Virtuosität verlangende Komposition markiert das Finale von Salleras‘ Saxophonkunstwerk Mi Bailaora, das jedem Stück einen Kurzfilm voranstellt, der das Publikum in den Kreativprozess des Komponisten bei diesem Stück entführt. Damit unterstreicht Recerca II Salleras Ruf als „músico sin límites“, da er sich immer wieder mit leidenschaftlicher Intensität an Neues wagt.
Gebaut aus Klängen!
Bei Palladio – von SAX12 beim RAUMKLANG im Arrangement von Johan van der Linden zu hören – handelt es sich um ein Concerto grosso in drei Sätzen für Streichorchester von 1996. Teile des Allegretto hatte Karl Jenkins (*1944) schon 1993 für einen Fernsehwerbespot für Diamanten von De Beers komponiert; aus dem Motiv entwickelte er einen längeren Satz und erweiterte ihn zu einer Suite, die er nach dem Renaissancearchitekten Andrea Palladio, der ihn dazu inspiriert hatte, benannte. Denn harmonische Proportionen und Mathematik spielen in der Architektur wie in der Musik eine Rolle – so verkörpert das Werk Jenkins‘ Übertragung von Palladios „harmonious mathematical priciples“ auf die Musik.
MAXimal erREGERt!
Nicht nur in Weiden, sondern auch in Linz wird 2023 der 150. Geburtstag von Max Reger (1873–1916) das ganze Jahr gebührend gefeiert. Nach einem nur 43 Jahre währenden Leben hinterließ der „Accordarbeiter“ nach seinem Tod 1916 ein gewaltiges Œuvre. Unter den Sammlungen von freien Orgelstücken nehmen die 1901 im oberpfälzischen Weiden entstandenen Zwölf Stücke für die Orgel eine besondere Stellung ein. Bis dahin hatte Reger nahezu exklusiv Virtuosenmusik für Konzertorganist:innen komponiert, mit den vom Verlag C. F. Peters angefragten mittelschweren Zwölf Stücken wandte er sich nun explizit an eine andere Gruppe von Organist:innen. Das Te Deum als zwölftes Stück der Sammlung erklingt in einer Bearbeitung für zwei Orgeln mit Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Gerhard Raab an der Rudigierorgel – wenn das nicht zu Regers launiger Vorstellung passt: „Gestatten Reger, Max ... Reger – von vorne wie von hinten.“
Hinter den Wolken!
Altostratus entstand 2011 in einer Fassung für vier Altsaxophone und Orgel. Rob Buckland (*1967) schuf außerdem eine Version für Saxophonensemble, die bei diesem RAUMKLANG zu hören war. Altostratus ist eine Wolkengattung, die den Himmel in graublauen Tönen bedeckt und die Sonne oft nur schwach wie durch Milchglas hindurchscheinen lässt. Analog dazu verwebt Bucklands Komposition Melodien miteinander, die wellenartig ineinander verlaufen ... bis die Sonne schwach durchscheint, um dann wieder sanft von den Wolken verdeckt zu werden. Intention des Stücks ist die Erforschung der Vokalität und Lyrizität des modernen Saxophonklangs.
Tanz am Bosporus!
Ursprünglich komponierte der britische Saxophonist Andy Scott (*1966) Golden Horn für Brassband als Auftragswerk für Allan Withington und die Stavanger Brass Band, die das Werk 2013 beim Festival Siddis Brass uraufführten. Der Name nimmt Bezug auf das Goldene Horn, den Meeresarm an der westlichen Seite des Bosporus, der die Stadt Istanbul teilt und einen natürlichen Hafen bildet, der seit alter Zeit griechische, römische, byzantinische, osmanische und viele andere Schiffe beherbergt. Wie ein lebhafter türkischer Tanz klang das in Andy Scotts Arrangement für Saxophonensemble musizierte Stück.
Gemälde aus Tönen!
Über die Seven Pastels from the Lake of Constance, den Zyklus musikalischer Landschaftsbilder, schrieb ihr Schöpfer Sigfrid Karg-Elert 1923: „Das ist mein allerbestes, persönlichstes und inhaltlich wertvollstes Werk.“ Er komponierte die Tongemälde während eines Urlaubsaufenthalts mit seiner Familie in Radolfzell am Bodensee im Sommer 1921. Angesichts ihres außergewöhnlichen Klangfarbenreichtums erstaunt die Tatsache, dass er die Stücke auf einer kleinen, zweimanualigen Orgel in der evangelischen Kirche des Ortes konzipierte. Die von Gerhard Raab an der Rudigierorgel interpretierte Hymn to the Stars ist Schluss- und Höhepunkt der Pastelle – ihr Finale ist einzigartig: Unter dem Dauerton fis3 entfaltet sich eine Hymne, die durch den Quintenzirkel wandert und in einem Klang endet, der das Stück zu den Sternen führt ...
Sehnsucht nach Frieden!
The Armed Man: A Mass for Peace aus der Feder des Walisers Karl Jenkins ist ein für vierstimmigen gemischten Chor, zwei Solisten und symphonisches Orchester komponiertes Auftragswerk des Royal Armouries Museums. Jenkins webt in die Texte der katholischen Liturgie Passagen aus anderen religiösen, historischen und literarischen Quellen. Das Ende eines äußerst kriegsreichen Jahrhunderts reflektierend und hoffnungsvoll in eine friedlichere Zukunft blickend ist das 2000 in der Royal Albert Hall London uraufgeführte Werk den Opfern des Kosovokonflikts gewidmet. Das berührende Benedictus der Mass for Peace ertönte beim RAUMKLANG mit SAXAPPEAL in Philipp Haiders Arrangement für Saxophonensemble und zwei Orgeln (Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Gerhard Raab an der Rudigierorgel).
Symphonie mit SAXAPPEAL!
„In diesem Werk habe ich alles gegeben, was ich geben konnte … so etwas werde ich nie wieder schreiben.“ So beurteilte Camille Saint-Saëns (1835–1921) seine dritte, dem Andenken Franz Liszts gewidmete Symphonie. Der Auftrag für die Troisième Symphonie stammte von der Royal Philharmonic Society in London. Genau zwei Monate vor der Uraufführung 1886 schrieb der Komponist verschmitzt an seinen Auftraggeber Francesco Berger: „Für mich wird es ein Fest sein, diese Symphonie zu dirigieren. Wird es für andere auch ein Fest sein, sie zu hören? That is the question.“ An diesem RAUMKLANG-Abend war es jedenfalls ein Fest, den mit einem kräftigen Orgelakkord eingeleiteten Schlussteil des zweiten Satzes dieser „Symphonie avec orgue“ (Maestoso – Allegro) in einem Arrangement von Philipp Haider für Saxophonensemble und zwei Orgeln (Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Gerhard Raab an der Rudigierorgel) zu spielen und zu hören – als beeindruckendes Konzertfinale voll SAXAPPEAL! Das domorgelsommerlinz-Publikum dankte es mit tosendem Applaus und Standing Ovations ...
Stefanie Petelin
Jens Thekkeveettil/unsplash.com/Unsplash License (Sujet) / Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin und Florian Zethofer (Konzertfotos)