STERNSCHNUPPEN! mit Katharina Zauner
Die an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien studierende Mühlviertlerin Katharina Zauner musizierte bei ihrem Matineekonzert STERNSCHNUPPEN! Werke von Johann Sebastian Bach (1685–1750), Nicolaus Bruhns (1665–1697) und Sigfrid Karg-Elert (1877–1933).
STERNSCHNUPPE #1: Bruhns!
Der Komponist Nicolaus Bruhns, 1665 in Schwabstedt geboren und 1697 in Husum gestorben, zählt zur norddeutschen Orgelschule. Der Werdegang des aus einer norddeutschen Musikerfamilie stammenden und jung verstorbenen Orgel- und Geigenvirtuosen ist nur bruchstückhaft überliefert. Früh hat Bruhns das Orgelspiel – vermutlich bei seinem Vater Paul – erlernt. In Lübeck setzte er ab 1681 schließlich seine musikalische Ausbildung fort, lernte Violine und Viola da Gamba bei seinem Onkel Peter, der dort als Ratsmusiker wirkte, und vervollkommnete sein Wissen als Organist und Komponist bei Dieterich Buxtehude, als dessen Lieblingsschüler Bruhns galt. Einige Jahre wirkte er – auf Empfehlung des Marienorganisten Buxtehude – als Komponist und Violinist am Kopenhagener Hof. Nach dem Tod von Friedrich zur Linden, Organist der heute nicht mehr existierenden alten Husumer Marienkirche im Januar 1689 machte sich der Stadtrat von Husum auf die damals recht aufwändige Suche nach Bruhns, der inzwischen schon etwas Ruhm erlangt hatte, um ihm diese Stelle anzubieten. Auf das Probespiel am 29. März 1689 folgte die einstimmige Berufung zum Organisten, „[…] da vorher seinesgleichen von Kompositionen und Traktierung allerlei Arten von Instrumenten in dieser Stadt nicht war gehöret worden“. Nach längeren Querelen zwischen Husum und Kiel, die Bruhns eine Stelle an der Nikolaikirche anbot, blieb Bruhns bis zu seinem frühen Tod mit 31 Jahren in der reichsten Stadt Nordfrieslands als Organist tätig. Am 2. April 1697 wurde der Organist bestattet, „[…] von jedermann bedauret, daß ein solcher trefflicher Meister in seiner Profession, auch vertragsamer Mann, nicht länger leben sollen“ hat. Bruhns muss in der Tat ein bemerkenswerter Zeitgenosse gewesen sein: Er soll die spektakuläre Fähigkeit besessen haben, ein dreistimmiges Stück alleine aufzuführen, indem er die Violinpartie spielte, die Bassstimme sang und den basso continuo auf dem Orgelpedal ausführte.
Das überlieferte, gesichert von ihm stammende Werk umfasst vier vollständige Orgelwerke (darunter das von Katharina Zauner musizierte „große“ Praeludium in e als herausragendes Beispiel für den stylus phantasticus mit seinen häufigen Affektwechseln) und zwölf Kantaten, verschollen ist bis heute die Kammermusik aus der Feder des Komponisten. Der Musikwissenschaftler Martin Geck beschrieb Bruhns als Komponisten „mit der Leidenschaft eines Künstlers, der nicht über seinem Werk steht, sondern in ihm aufgeht“. Seine allesamt originellen Orgelwerke sind vom norddeutschen Orgelstil geprägt: Homophone und fugierte Abschnitte wechseln einander in den von kühner Harmonik und verschachtelter Rhythmik geprägten Kompositionen ebenso ab wie Arpeggii und virtuose Pedalpassagen. Bruhns reizte die Möglichkeiten des sogenannten stylus phantasticus voll aus, um affektreiche, teilweise fast modern klingende Kompositionen zu erschaffen. Die Werke stellen dabei hohe Anforderungen an Interpret:innen.
Das von Katharina Zauner als erste STERNSCHNUPPE des Matineekonzerts musizierte Praeludium in e („groß“) markiert vermutlich Bruhns‘ eigenwilligstes Orgelwerk: Fünfteilig präsentiert sich das Werk mit zwei Fugen, die von drei freien, toccatischen Abschnitten gerahmt sind (Toccata I – Fuge I im geraden Takt – Toccata II – Fuge II im ungeraden Takt – Toccata III). Metrum und Tempo wechseln in dem symmetrisch aufgebauten, sorgfältig durchdachten Praeludium in e („groß“) ständig und erzeugen auf diese Weise so den Eindruck einer dem Augenblick entspringenden Improvisation. Musikwissenschaftler Willi Apel verglich das Stück mit einem „magischen Theater, in dem jeden Augenblick neue Personen auftreten, sich über die Bühne bewegen und wieder verschwinden“.
STERNSCHNUPPE #2: Karg-Elert!
Ein kleiner Blick auf das Leben des Komponisten, der in den letzten Jahren erfreulicherweise wiederentdeckt wird: Der Komponist wurde 1877 als jüngstes von zwölf Kindern des Buchhändlers Johann Jacob Karg (1823–1889) und dessen Frau Marie Auguste Karg (geb. Ehlert, 1840–1908) als Siegfried Theodor Karg in Oberndorf am Neckar geboren. Schon früh erkannte man seine musikalische Begabung, seine ersten Lebensjahre waren allerdings durch eine Vielzahl an Ortswechseln innerhalb Deutschlands geprägt: 1882 übersiedelte die Familie schließlich nach Leipzig, in die Stadt, die Karg-Elerts musikalisches Leben sehr prägen sollte. In Leipzig studierte er bis 1902 am Konservatorium Theorie bei Salomon Jadassohn (1831–1902), Komposition bei Carl Reinecke (1824–1910), Orgel bei Paul Homeyer (1853–1908) sowie Klavier bei Alfred Reisenauer (1863–1907) und Robert Teichmüller (1863–1939). Nachdem Sigfrid Karg-Elert (wie sein nordisch anmutender Künstlername lautete, in dem er auch seine Verehrung für Edvard Grieg (1843–1907), dem er 1904 begegnete, zum Ausdruck brachte und dem er den Mädchennamen der Mutter in veränderter Schreibweise hinzufügte) lange für den auf Harmonium-Literatur spezialisierten Berliner Verlag Simon komponiert und bearbeitet hatte, mit dessen Verlagschef („Papa Simon“) ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband, ermunterte ihn der Gewandhaus-Organist Paul Homeyer schließlich dazu, sich kompositorisch der Orgel zuzuwenden. Mit den 66 Choralimprovisationen, op. 65, legte er schließlich den Grundstein für sein umfangreiches Orgelschaffen. 1910 heiratete Karg-Elert Minna Louise Kretzschmar (1890–1971), der Ehe entstammte die gemeinsame Tochter Ingeborg Annelies Käthchen (1914–1984). Karl Straube (1873–1950), der den Komponisten 1910 noch zu seinem „Aufstieg“ beglückwünscht hatte, setzte sich nach dem ersten Weltkrieg kaum mehr für ihn ein, obwohl dieser ab 1919 als Dozent für Musiktheorie und Komposition (1932 erfolgte die Ernennung zum Professor) am Leipziger Konservatorium wirkte.
Mit seiner Musik schien Karg-Elert – auch im Hinblick auf die Ideen der langsam einsetzenden Orgelbewegung – aus der Zeit gefallen zu sein, obwohl er – wie der nahezu übermächtige Max Reger (1873–1916) auch ein großer Verehrer Johann Sebastian Bachs war (und diesem in vielen Kompositionen mit dem B-A-C-H-Motiv ein musikalisches Denkmal setzte): Zu individuell und progressiv hatte er die Ideen des 19. Jahrhunderts weiterentwickelt anstatt sich auf das 17. Jahrhundert zurückzubesinnen, zu international und kosmopolitisch waren die Einflüsse auf seine Musik (u.a. Debussy, Grieg, Skrjabin) anstatt sich auf die Verwurzelung im Heimatland zu konzentrieren, die das Kulturklima der 1920er- und 1930er-Jahr durch den aufkeimenden Nationalsozialismus prägte. Karg-Elert mit dem originellen spätromantischen Stil mit impressionistischen und expressionistischen Einflüssen sah sich so selbst als exzentrischen Einzelgänger. Auch sein Hang zu Clownerien und seine mitunter entwaffnende Offenherzigkeit machte es ihm schwer, sich eine Lobby zu verschaffen. Anerkennung für sein Werk fand Karg-Elert eher im englischsprachigen Ausland in Großbritannien und den USA, was aus dem regen Briefkontakt mit dem Londoner Organisten Godfrey Sceats (1888–1966) hervorging. So starb Karg-Elert nach einer bereits von Krankheit und diversen Leipziger Geschichten überschatteten und zum Fiasko avancierenden Orgelkonzerttournee durch die Vereinigten Staaten 1932 im Frühling 1933 in Leipzig.
Impressionen – auf diese Gattung von Tongemälden hat Karg-Elert gerne zurückgegriffen und so musikalische Momentaufnahmen und Stimmungsbilder geschaffen. Die Titel der einzelnen Sätze der 1912 publizierten, wunderbar stimmungsmalenden Trois Impressions, op. 72, sind bereits kleine zauberhafte STERNSCHNUPPEN: Harmonies du Soir, Claire de Lune und La Nuit. In keiner anderen Komposition hat sich Karg-Elert stilistisch wohl so sehr dem musikalischen Impressionismus angenähert. Gewidmet sind die drei Impressionen des lange verkannten Karg-Elert dem französischen Organisten und Komponisten Félix-Alexandre Guilmant (1837–1911). Als zweite musikalische STERNSCHNUPPE musizierte Katharina Zauner die zweite Impression La Nuit, die von einem ersten kleineren Höhepunkt zu einem zweiten führt, bevor sie sich dann endgültig zur nächtlichen Ruhe begibt.
STERNSCHNUPPE #3: Bach!
Die dritte musikalische STERNSCHNUPPE stammt von Johann Sebastian Bach. Großmeister Bach schrieb seine freien Orgelwerke zumeist in Form von Satzpaaren: Einer klar geordneten, strengen Fuge stellte er ein freies, von der Idee improvisatorisches Stück voran, das er mit Präludium, Toccata oder – wie im Falle von Katharina Zauners musikalischer STERNSCHNUPPE – Fantasie überschrieb.
Kunstvoll und grenzensprengend lässt sich das Satzpaar Fantasie und Fuge g-Moll, BWV 542, beschreiben; auch nach über 300 Jahren seit seiner Entstehung besticht es durch Kraft und Brillanz. Die Fuge wird auf das Jahr 1720 datiert – man nimmt heute an, dass Johann Sebastian Bach sie anlässlich seiner Bewerbung um die Stelle als Organist an der Arp-Schnitger-Orgel in St. Jacobi in Hamburg improvisierte und später aufschrieb. In der Wahl des Themas, das Bezug auf das niederländische Volkslied Ik ben gegroet van nimmt, verneigte sich Bach möglicherweise vor dem Niederländer Johann Adam Reincken (1643–1722), der als Organist an der Katharinenkirche in Hamburg wirkte und neben Magistrat und zahlreichen Honoratioren der Hansestadt bei Bachs Probespiel zugegen war. Mit dieser Fuge, die schon bald in einem Manuskript als Bachs „allerbestes Pedalstück“ bezeichnet wurde, wollte der Organist offenbar zeigen, was er konnte. Auch wenn Bach seine Bewerbung aus finanziellen Gründen wieder zurückzog, seine kunstvolle Fuge zog er glücklicherweise nicht zurück, sondern komponierte stattdessen eine beeindruckende Fantasie im stylus phantasticus hinzu, die die bis dato gültigen harmonischen Grenzen sprengte. Konkret ist die Entstehungszeit der Fantasie nicht datierbar, ohne Zweifel ist lediglich, dass die beiden Teile des Satzpaares nicht zur selben Zeit konzipiert wurden. Und ohne Zweifel ist auch, dass sich das domorgelsommerlinz-Publikum nach Katharina Zauners Debütkonzert im vergangenen Jahr über ihren erneuten Besuch beim domorgelsommerlinz23 freute und dies mit lautem und langanhaltendem Applaus zum Ausdruck brachte!
Stefanie Petelin
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