ANTONAL! mit Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
ANTONAL eröffnete Domorganist Wolfgang Kreuzhuber am 3. August 2023 den Reigen der Abendkonzerte beim domorgelsommerlinz23 an der Rudigierorgel und verneigte sich so musikalisch vor einem Mann, dessen Name eng mit der Geschichte der Rudigierorgel und ihrem Domorganisten Wolfgang Kreuzhuber verbunden ist: Anton Heiller.
ANTONAL!
Eine Tour d‘Horizon durch das Leben des musikalischen Universalgenies Anton Heiller ist beeindruckend. Bereits in jungen Jahren nahm die Karriere des am 15. September 1923 in Wien geborenen Künstlers Fahrt auf: Mit 11 Jahren erhielt er Orgelunterricht bei Domorganist Mück, mit 12 Jahren gab er öffentliche Konzerte, mit 13 Jahren verfasste er erste Kompositionen, mit 19 Jahren war er zweiter Chormeister und Korrepetitor der Wiener Singakademie, mit 22 Jahren unterrichtete er an der Wiener Musikakademie, mit 24 Jahren dirigierte er Franz Schmidts Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln im Wiener Konzerthaus. Und all das war erst der Anfang im Schaffen und Wirken dieser musikalischen Legende: Denn Heiller revolutionierte durch seine Auseinandersetzung mit der historischen Aufführungspraxis einerseits die Interpretation von Orgelwerken Johann Sebastian Bachs, fungierte andererseits aber auch als Fachmann für zeitgenössische Musik, der zig eigene und fremde Werke uraufführte, darunter das Concerto for Organ and Orchestra seines Mentors und Freundes Paul Hindemith 1963.
Als Verfechter der mechanischen Spieltraktur engagierte sich der Organist außerdem leidenschaftlich für die Verbreitung dieser Technik in Österreich durch renommierte Orgelbauer aus dem In- und Ausland. Das wohl bedeutendste Orgelprojekt mit Heillers Beteiligung ist heute als Klangdenkmal im Mariendom Linz zu finden. Heillers Wertschätzung für die Rudigierorgel drückt sich dabei nicht nur in seinen in den 1970er-Jahren seitens der Linzer Verantwortlichen unverständlicherweise nicht umgesetzten Plänen, Linz zu einem Orgelmekka im Stile Haarlems zu machen, aus, sondern auch durch seine Reger-Aufnahme von 1971, die bis heute Maßstäbe setzt und nicht nur 2023 anlässlich des Reger-Jahres in den Blick rückt.
Für den ausgebildeten Bariton waren „atmendes“ bzw. „singendes Musizieren“ sowie das Musizieren mit Leidenschaft Grundpfeiler seines Interpretierens und Lehrens. Dies belegt ein berühmter Ausspruch, den neben Wolfgang Kreuzhuber wohl viele seiner Schüler:innen gehört haben: „Du musst lernen, mit der Orgel zu singen.“ Nicht nur als Professor an der Wiener Musikakademie, sondern auch durch seine kontinuierliche Präsenz in den Niederlanden, speziell bei Wettbewerben und Kursen in Haarlem, und in den USA gab Heiller wichtige Impulse. Durch seine weit über Österreich hinausreichende Ausstrahlung und Kontakte zu vielen Organist:innen von internationalem Renommee (u.a. Marie-Claire Alain, Gustav Leonhardt, Luigi Ferdinando Tagliavini) prägte Heiller das musikalische Leben national wie international. Viel zu früh starb er am 25. März 1979 in Wien, bleibende Spuren hat er allerdings bis heute hinterlassen: als Improvisator und Komponist, als Organist und Pianist, als Dirigent und Cembalist und natürlich als Pädagoge und Mensch.
Die in Wolfgang Kreuzhubers ANTONALem Konzert musizierten Kompositionen Anton Heillers stehen entweder in unmittelbarer Verbindung zur Rudigierorgel oder entstanden in zeitlicher Nähe zu deren Weihe.
Epochemachend!
Mit der 1990 von Monika Henking transkribierten Improvisation über den Hymnus Ave Maris stella verneigte sich Domorganist Kreuzhuber einerseits vor seinem Lehrer Heiller und andererseits vor seiner Lebensliebe Rudigierorgel. Denn bei der dritten Orgelvesper während des dreitägigen Weihefestes des berühmten Instruments improvisierten Hans Haselböck, Anton Heiller und Gaston Litaize zum Patrozinium des Domes am 8. Dezember 1968 jeweils rund zwanzig Minuten über marianische Gesänge. Die Vesper wurde mitgeschnitten und auf Schallplatte veröffentlicht – ein Tondokument, das für die Orgelwelt bis heute von immenser und nachhaltiger Bedeutung ist. Insbesondere Anton Heillers Improvisation über Ave Maris stella setzte mit ihrer Farbigkeit, ihrer kontrapunktischen Verarbeitung und ihrer Harmonik Maßstäbe im Bereich Improvisation. Formal ist diese als französische Suite (mit den Variationen Pleinchant, Duo, Basse de Voix humaine et de Trompette, Tierce en taille, Anches und Fuge) – vergleichbar mit jenen de Grignys oder Couperins – angelegt, allerdings in Heillers moderner, unverwechselbarer Tonsprache. Perfekt zusammengefasst hat es Hermann Kronsteiner: „Kunstvolle Polyphonie verbindet sich mit kühner, expressionistischer Tonalität und vereint, immer dem Cantus firmus klar verpflichte[t], überzeugend die alte Gregorianik mit der Aussage unserer Zeit.“
Meditativ!
Nach diesem in Noten übertragenen Höhepunkt der Improvisationskunst erklang das 1967 komponierte Ecce lignum crucis, a Meditation. Die für die Anthologie Modern Organ Music entstandene Meditation nimmt Bezug auf den gregorianischen Gesang zur Kreuzverehrung in der katholischen Karfreitagsliturgie: Auf den Ausruf Ecce lignum crucis des Priesters antwortet die Gemeinde Venite, adoremus – dies wiederholt sich, jeweils um einen Ganzton gesteigert, zwei Mal. All dies ist auch in Heillers Meditation zu hören: Der Wechsel zwischen Priester und Gemeinde zeigt sich im Wechsel der Fußtonlage, die Tonalitäten treten zunächst in den drei Hauptteilen auf, um sich am Schluss in einem statischen, dunklen Ganztoncluster zu vereinen. Den Mittelteil des Werkes beherrschen Doppelpedalschläge, mit denen Heiller die Geißelung Jesu in Musik übersetzt. Zur Reprise des Ecce lignum crucis erklingt der alte Passionsruf Es sungen drei Engel. Linien führen dabei zu Johann Nepomuk David und Paul Hindemith und einmal mehr verbindet Heiller einen gregorianischen Choral mit einer deutschen Melodie.
Symbolisch!
Am 8. April 1975 wurde Anton Heillers Meditation über die gregorianische Ostersequenz Victimae paschali laudes von ihrem Widmungsträger Dieter Weiss anlässlich eines Oster-Epitaphs im niedersächsischen Oldenburg uraufgeführt. „Mit Ostern ist alles Verkehrte und auf den Kopf Gestellte beseitigt“, bemerkte Anton Heiller zur Deutung seiner Komposition aus dem Jahr 1974. Insofern herrscht wohl Gewissheit darüber, dass die ungewöhnliche Absenz von Umkehrung und Krebs jeglicher Art intendiert ist und dieser Symbolik entspricht. Bei strenger kontrapunktischer Arbeit in enggeführten Kanons und Cantus-firmus-Strophen präsentiert sich das Werk klar gegliedert und nutzt dabei die Zahlensymbolik in der Tradition Johann Sebastian Bachs.
Leichtfüßig!
Joseph Jongen, 1873 in Lüttich geboren, trat mit sieben Jahren in das Conservatoire Royal de Liège in seiner Heimatstadt ein, wo er seine musikalische Ausbildung in Komposition, Orgel und Klavier erhielt. 1898 bis 1904 versah er zusammen mit seinem Bruder Léon den Dienst als Organist an Saint-Jacques in Lüttich. Der belgische Prix de Rome 1897 ermöglichte ihm eine mehrjährige Reise durch Deutschland, Frankreich und Italien, auf der er die Musik von Johannes Brahms kennenlernte, Kompositionsstunden bei Richard Strauss nahm und mit Gabriel Fauré Bekanntschaft machte. Jongen ließ sich 1905 in Brüssel nieder und lehrte am Lütticher Konservatorium, wo er 1911 zum Professor für Harmonielehre ernannt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg, den Jongen in Großbritannien verbrachte, wo er das Quatuor belge de Londres gründete und Klavier- und Orgelkonzerte gab, wurde er 1920 am Conservatoire royal de Bruxelles zum Professor ernannt und wirkte von 1925 bis zu seiner Pensionierung 1939 als dessen Direktor. Jongen starb 1953 in seinem Sommerhaus in Sart-lez-Spa. Bekanntheit verdankt Jongen hauptsächlich seinem Orgelœuvre. Bei dem von Wolfgang Kreuzhuber musizierten Chant de May, dem ersten der 1917 in London komponierten, pianistisch beeinflussten Deux Pièces, handelt es sich wohl um das berühmteste in Großbritannien entstandene Orgelwerk Jongens. Dieser spielte oft Interludien in Programmen anderer Künstler:innen. Auf einen solchen Anlass gehen die Deux Pièces zurück: Sie wurden am 28. April 1917 unter dem Titel Two Sketches: Aria & Menuetto als Interludium eines Recitals der Sopranistin Blanche Marchesi in der Londoner Steinway Hall uraufgeführt. Die Leichtfüßigkeit der Musik steht dabei in heftigem Kontrast zum zeitgleich auf dem europäischen Festland stattfindenden Kriegsgeschehen. Jongens Bruder Léon in Paris zeigte sich nach Erhalt der Noten im August 1918 begeistert von der Komposition, deren Form und Melodik durchaus als klassisch zu bezeichnen sind, deren Titel aber Fragen aufwirft: Denn ob May sich auf den Wonnemonat oder ein weibliches Geschöpf bezieht, wird wohl für immer Joseph Jongens Geheimnis bleiben.
Dreifaltig!
Mit Augustinus Franz Kropfreiters 1959 im Stift St. Florian uraufgeführtem Dreifaltigkeits-Triptychon führte der ANTONALe Weg zurück nach Oberösterreich. Kropfreiter, 1936 in Hargelsberg geboren und 2003 in St. Florian gestorben, musizierte dieses Stück mit großem Erfolg bei seiner Reifeprüfung an der Wiener Musikakademie und leitete damit seine Ära als einer der bedeutendsten österreichischen Orgelkomponisten des 20. Jahrhunderts ein. Gewidmet ist es – wie eine Vielzahl seiner Kompositionen – der Organistin Hedwig Ebermann „in Freundschaft und Dankbarkeit“. Formal bezieht sich das in die drei Sätze Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit (Maestoso (breit)), Christe, aller Welt Trost (Andante mystico) sowie Kyrie, Gott Heiliger Geist (Allegro con fuoco) gegliederte Werk auf die deutsche Nachdichtung (Naumburg 1537) des Kyrie fons bonitatis aus dem 10. Jahrhundert. Der erste Satz symbolisiert in kraftvoller Art Gott Vater, der zweite Satz vermittelt die ruhige und zuversichtliche Stimmung von Gott Sohn und zeigt in seinen Außenteilen tröstlichen Charakter, während der Mittelteil des zweiten Satzes dem energischen Charakter des Hymnentextes „zu Dir schreien wir aus Herzensbegier“ entspricht. Der dritte Satz präsentiert in wilden Läufen die vom Himmel herabkommenden Feuerzungen des Heiligen Geistes. Choralartige Einwürfe und der majestätische Schluss wecken dann Erinnerungen an die Harmonien eines Jehan Alain, von dessen Première Fantaisie Kropfreiter zur Zeit der Komposition sehr beeindruckt war. Der französische Kolorit Alains und Martins ist es auch, der neben dem Kontrapunkt Hindemiths und der Polytonalität Kropfreiters Tonsprache wohl am meisten prägte. Eine enge Beziehung bestand außerdem zu Anton Heiller: „Ich war zwar nie sein Schüler. Er wurde aber mein kompositorischer Berater; auch nur kleinste Hinweise waren mir Gebot. Tiefste Verehrung und edelste Freundschaft bis zu seinem allzufrühen Tod ergaben sich daraus.“
Überraschend!
Ein Konzert von Domorganist Kreuzhuber muss natürlich mit einer Improvisation enden – und wenn ein solches ANTONAL ist, dann erst recht! Damit schaffte der Herr über die 5890 Pfeifen der Rudigierorgel nicht nur den Rahmen zur am Beginn des Konzerts erklungenen transkribierten Improvisation seines Lehrers Anton Heiller aus dem Jahr 1968, sondern auch eine gedankliche Verbindung zu diesem für ihn prägenden Künstler.
Auch wenn Wolfgang Kreuzhuber viele musikalische Talente hat: Letztlich geht es ihm doch wie seinem Lehrer Heiller, der 1972 in einem Gespräch betonte, dass „der Orgel meine erste Liebe gilt“. Besonders groß ist diese beim Linzer Domorganisten wohl zu seiner Lebenspartnerin, der Rudigierorgel, die offenbar besonders inspirierend ist fürs Improvisieren – ob bei der Orgelweihe 1968 oder an diesem ANTONALen Abend:
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): ANTONALe Improvisation (Scherzando) | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
„Seit mehr als 40 Jahren bin ich in der glücklichen Lage, auf einer der schönsten Orgeln der Welt zu spielen, für deren Klang auch mein Lehrer Anton Heiller verantwortlich zeichnet“, hatte der Linzer Domorganist in seinen persönlichen Worten am Beginn des Konzerts verraten. Und so beschloss der Heiller-Schüler Wolfgang Kreuzhuber den Konzertabend ganz mit einer klangprächtigen Improvisation, die bewusst auf ein liedhaftes Thema verzichtete und von einem in verschiedensten dynamischen Schattierungen vorwärts dringenden Quintthema getragen wurde, dem finalen Höhepunkt entgegenstrebte und mit ihrem symphonischen Aufbau den festlichen Abschluss des Konzerts bildete. Im Vorfeld hatte Kreuzhuber bereits zur Konzeption mit einem Schmunzeln verraten: „Der Heiller kommt original am Anfang, der Kreuzhuber kommt original am Schluss!“ Für beide gab's begeisterten Applaus vom domorgelsommerlinz-Publikum und darauf eine Zugabe – eine Improvisation über Guten Abend, gut Nacht, in der auch der vom Publikum vielfach geliebte Zimbelstern zum Einsatz kam und so auch ein wenig zum Andenken an den musikalischen Fixstern Anton Heiller erklang.
Stefanie Petelin
Lachezar Chokoev (modifiziert)/Diözesanarchiv Linz (Sujet) / Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Konzertfotos)