GIGANTISCH! mit Elke Eckerstorfer
Zum Auftakt des domorgelsommerlinz23 an der Rudigierorgel musizierte die gebürtige Welserin Elke Eckerstorfer am 30. Juli 2023 unter dem Motto GIGANTISCH! Werke von Johann Sebastian Bach (1685–1750) und Charles-Marie Widor (1844–1937).
Gigant #1: Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach. Er darf wahrlich als Gigant der Musikgeschichte bezeichnet werden, obwohl sich seine Biographie im Vergleich zu manch anderen Komponisten möglicherweise weniger spektakulär präsentiert: Bach, 1685 in Eisenach als Sohn eines Stadtpfeifers geboren, wirkte – mit Lebensstationen in Ohrdruf, Lüneburg, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Weißenfels und Köthen – als Organist, Konzertmeister, Kapellmeister und schließlich ab 1723 bis zu seinem Tod 1750 27 Jahre als Thomaskantor in Leipzig. Seinen zwei Ehen entstammen 20 Kinder, unter denen sich abermals viele Musikschaffende befinden.
Die Paarung von Präludium und Fuge darf im reichen Orgelschaffen Bachs wohl als bedeutende Gattung bezeichnet werden. Das von Elke Eckerstorfer in ihrem GIGANTISCHen Matineekonzert musizierte prächtige Präludium und Fuge C-Dur, BWV 547, zählt zu den meistgespielten zweisätzigen Stücken Bachs. Es entstand vermutlich in dessen Leipziger Zeit und handelt sich daher um ein eher spätes, vielleicht sogar Bachs letztes Orgelwerk. Die früheste Überlieferungsquelle ist nach 1730 zu datieren. Im monothematischen Präludium im wiegenden 9/8-Takt bedient sich der Thomaskantor der aufsteigenden Motivik und der eingängigen Rhythmik des Eingangschores der für das Epiphaniasfest 1724 komponierten Kantate Sie werden aus Saba alle kommen, BWV 65, und spielt so auf das Kommen der drei Weisen aus dem Morgenland an. Bei der fünfstimmigen Fuge handelt es sich um die dichteste Fuge, die Bach je für die Orgel komponiert hat: Mehr als fünfzig Mal wird das Thema, das nur aus neun Tönen besteht und eine Umbildung der ersten Zeile des Chorals Allein Gott in der Höh sei Ehr darstellt und so ebenfalls einen weihnachtlichen Bezug hat, wiederholt, dabei verdichten sich die Stimmen zunehmend, bevor im Pedal das Thema in der Vergrößerung hinzutritt. Interpretieren lässt sich dies als Illustration des langen Wartens der Völker auf den Heiland und die Erkenntnis, dass dessen Erscheinen sich größer als erwartet präsentiert.
Gigant #2: Charles-Marie Widor
Charles-Marie Widor wurde 1844 in Lyon in eine musikbegeisterte Familie hineingeboren. Schon mit elf Jahren fungierte er als Organist in der Kapelle seines Collège und als Vertreter seines Vaters François-Charles an der Orgel von Saint-François-de-Sales. Durch die Förderung des Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll, einem Freund der Familie, nahm die Karriere des jungen Charles-Marie Widor Fahrt auf, denn er öffnete ihm die Türen zu bekannten Virtuosen und Professoren sowie zu bekannten Orgeln. Bereits mit 25 Jahren wurde er 1870 – durch Unterstützung von Aristide Cavaillé-Coll, Charles Gounod und Camille Saint-Saëns – Nachfolger von Louis James Alfred Lefébure-Wély als Titularorganist von Saint-Sulpice, wo er ein Instrument aus der Werkstatt von Cavaillé-Coll zur Verfügung hatte, das ihm alle klanglichen Möglichkeiten bot und so als Inspirationsquelle für seine zehn Orgelsymphonien diente. Obwohl die Stelle zunächst auf ein Jahr befristet war und die provisorische Anstellung offiziell nie aufgehoben wurde, wirkte er schließlich fast 64 Jahre an der Pariser Kirche. 1890 wurde er nach César Francks Tod Professor am Conservatoire de Paris und begründete damit die „französische Orgelschule“. Widor starb 1937 im Alter von 93 Jahren und wurde in der Krypta seines jahrzehntelangen Wirkungsortes bestattet.
Im Vorwort zu seinen Orgelsymphonien bringt Charles-Marie Widor 1887 seine Einstellung zur Orgel zum Ausdruck, die „in der ihr eigenen Majestät wie ein Philosoph [spricht]“: „Sie kann als einziges unter den Instrumenten in unbestimmter Dauer ein unveränderliches Klangvolumen entfalten und damit die religiöse Idee des Unendlichen zum Ausdruck bringen.“ Bei der Symphonie No. 5 en fa mineur, op. 42/1, handelt es sich wahrscheinlich um Widors berühmteste Orgelsymphonie. In Elke Eckerstorfer GIGANTISCHem Matineekonzert erklangen der zweite Satz (Allegro cantabile) und der fünfte Satz (Toccata). Neben Bachs berühmter Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565, zählt dieser Schlusssatz von Widors fünfter Symphonie zu den bekanntesten Werken der Orgelmusik, man kann vielleicht sogar von einem „Hit“ in der Musikgeschichte sprechen. Uraufgeführt wurde diese durch den Komponisten an der Orgel des Pariser Palais Trocadéro am 19. Oktober 1879. Der erste Satz war bereits am 27. Februar 1879 zur Weihe der Orgel von Saint-François-Xavier in Paris erstmals erklungen. Die Toccata aus der fünften Symphonie zählt zu den Perpetuum-Mobile-Toccaten – eine durchgehende Sechzehntelbewegung durchzieht das Stück von Anfang bis Ende, die Idee zu dieser Toccata soll Widor einer Legende nach auf einer langen Zugreise gehabt haben und dieses Pulsieren ahmt das Geräusch einer Lok nach. Innerhalb der Orgelliteratur ist die Stellung der Toccata wohl einzigartig – in ihr werden alle technischen Innovationen des Orgelbaus von Cavaillé-Coll vorgeführt und letztlich wird in ihr auch spürbar, dass Widor sein Leben in vollen Zügen genoss, wie Elke Eckerstorfer ihr GIGANTISCHes Matineekonzert, für das sie mit kräftigem Applaus vom Publikum im Mariendom Linz belohnt wurde.
Charles-Marie Widor (1844–1937): Symphonie No. 5 en fa mineur, op. 42/1: 5. Toccata | Rudigierorgel: Elke Eckerstorfer
Stefanie Petelin
bordencarrie/pixabay.com/Pixabay License (Sujet) / Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Konzertfotos)