Immer Reger!
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der Chororgel und Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel widmeten sich bei der ORGEL.LITURGIE am 21. Mai 2023 dem „Akkordarbeiter“ Max Reger, der in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag feiern würde. Mit der Gemeinde feierten Dompfarrer Maximilian Strasser und Estelle Höllhumer.
Im Fokus: Max Reger
Rast- und ruhelos lässt sich das (Komponisten-)Leben Max Regers beschreiben – ein Leben in Musik und im Akkord, aber auch ein Leben voll Phantasie und Humor: Max Reger wird am 19. März 1873 in Brand in der Oberpfalz geboren und wächst in der nahe gelegenen Stadt Weiden auf, wo er schon früh musikalische Ausbildung genießt. Nach Studien bei Musiktheoretiker Hugo Riemann erleidet Reger in Folge seines Militärdienstes und beruflicher Rückschläge einen Nervenzusammenbruch und kehrt so 1888 zurück ins Elternhaus. Dort steigert sich Regers musikalische Produktivität zwar enorm, er vermisst aber musikalische Anregungen und leidet unter der Enge seiner Heimatstadt. Er überzeugt seine Familie von einem Ortswechsel: 1901 übersiedelt die gesamte Familie Reger nach München-Haidhausen, wo Reger sogleich Kontakt mit wichtigen Persönlichkeiten des Kulturlebens aufnimmt. 1902 heiratet Katholik Max Reger die geschiedene Protestatin Elsa von Bercken – was für ihn nicht nur die Exkommunikation, sondern auch die Ablehnung seiner Familie zur Folge hat. Kompositorisch und künstlerisch ist Reger in dieser Zeit äußerst produktiv. 1905 wird er Dozent an der Akademie der Tonkunst, beendet ein Jahr später jedoch seinen Dienst wegen Unstimmigkeiten mit dem großteils konservativen Kollegium. 1907 wird Reger zum Universitätsmusikdirektor und Professor am Königlichen Konservatorium Leipzig berufen, seine Kompositions- und Konzerttätigkeit führt er aber fort. Das Amt als Universitätsmusikdirektor legt er bereits 1908 nieder, von 1911 bis 1914 ist er als Hofkapellmeister in Meiningen tätig. 1915 zieht der „Akkordarbeiter“ schließlich nach Jena und konzertiert unter erschwerten Reisebedingungen des Weltkriegs in Deutschland und den Niederlanden und pendelt fortan einmal wöchentlich zu seinen Lehrveranstaltungen nach Leipzig. Auf einer dieser Reisen erliegt Reger am 11. Mai 1916 im Leipziger Hotel Hentschel einem Herzversagen.
Im Fokus: Neun Stücke für die Orgel (1913)
Die als Opus 129 gelistete und Regers Freund Hans von Ohlendorff gewidmete Sammlung Neun Stücke für die Orgel entstand in Max Regers letzten Lebensjahren und trägt daher den Charakter seines Spätwerks in sich. Nach einem seiner unzähligen psychischen und physischen Zusammenbrüche hatte er sich an die Ostsee zur Erholung zurückgezogen, wo er oft und viel komponierte. Opus 129 präsentiert sich dabei als reduzierte Form seiner sonst sehr überschäumenden Art des musikalischen Ausdrucks, als Extrakt, als Essenz seiner Musik: kurze Themen, kleine Episoden und wenige Stimmen.
In der Toccata (Nr. 1), die zum Einzug in der ORGEL.LITURGIE erklang, eröffnet sich ein impressionistisches Kaleidoskop von Reminiszenzen, das bis zum Initium der berühmten – Bach zugeschriebenen – Toccata d-Moll, BWV 565, reicht und als Verneigung vor Johann Sebastian Bach zu sehen ist. Denn Bach stellte für Reger den „Anfang und das Ende aller Musik“ (Eintrag Regers in das Gästebuch der Familie Nachbauer, 7. Mai 1912) dar. Dass er sich mit seinem Bekenntnis „Alles, alles verdanke ich Joh. Seb. Bach“ (Brief Regers an Henri Hinrichsen, 26. Dezember 1902) selbst in einer langen, spezifisch deutsch aufgefassten Traditionsreihe sah, kann als musikalisches Credo Regers gesehen werden. Herbstblättern gleich fallen die einzelnen Phrasen in der Toccata in einem Decrescendo vom forte fortissimo zum piano sacht zu Boden.
Zur Gabenbereitung in der ORGEL.LITURGIE erklang die Melodia (Nr. 4), die – wie bereits ihr Titel verrät – den Fokus auf eine Melodie legt, deren Linien kein Ende nehmen. Reger windet sich darin förmlich ideenreich durch die Tonarten und bietet dabei ein musikalisches Bild seines Seelenlebens.
Im Fokus: Zwölf Stücke für die Orgel (1901)
Der als Opus 59 im Reger-Werkverzeichnis gelisteten Sammlung ging eine Anfrage des Leipziger Verlags C. F. Peters voraus, die vermutlich über Karl Peiser – Geschäftsführer des Verlags Hug & Co und Berater des Verlagsinhabers von C. F. Peters Henri Hinrichsen – an Reger herangetragen wurde. Ende Mai 1901 wandte sich Reger an Hinrichsen und berichtete über sein Interesse an der Komposition einer Reihe von mittelschweren Stücken für die Orgel: „Die Stücke sind alle nicht schwer technisch; u. erhalten Sie mein vollständig druckfertiges Manuskript bis Ende July, spätestens Anfang August dieses Jahres, also immer noch früh genug, daß Sie meine Stücke, die die Opuszahl 59 erhalten werden, noch unter die Nova für Herbst dieses Jahres zählen können.“ (Brief Regers an Henri Hinrichsen, 31. Mai 1901) In einem Brief an Josef Loritz berichtete er von der geplanten Komposition und verriet folgendes: Peters zahle „600 M für ein Werk, das ich in 14 Tagen bequemstens schreibe; á discretion!“ (Brief Regers an Josef Loritz, 14. Juni 1901)
Mit seinem in Weiden entstandenen Opus 59 wandte sich Reger an eine andere Gruppe von Interpret:innen: Bislang hatte er – wofür er von den einen gefeiert und von den anderen kritisiert wurde – nahezu exklusiv für Konzertorganist:innen komponiert, die Sammlung von zwölf Stücken zielte aber explizit auf Organist:innen ab, die auf gehobenen Orgelbänken saßen. Seine Zwölf Stücke für die Orgel erzielten gleich einen großen Erfolg – sieben davon erlangten große Breitenwirksamkeit und Popularität, darunter das in der ORGEL.LITURGIE zur Kommunion musizierte Benedictus (Nr. 9) und zum Auszug musizierte Te Deum (Nr. 12). Über die Entstehung der Stücke berichtete Adalbert Lindner: „In der kurzen Zeit von 17. Juni bis 1. Juli 1901 wurde es niedergeschrieben, jeden Tag ein fertig abgeschlossenes Stück, das er mir abends vorspielte u. die Skizze davon zum Geschenk machte.“ (Notiz Adalbert Lindners in der Mappe mit den Entwürfen Regers) Offenbar war Reger bereits ab 2. Juli 1901 mit anderen Arbeiten befasst, obwohl er sein Manuskript erst Mitte Juli an Peters übermittelte und erklärte: „[...] wenn Sie das Werk nun sogleich in Stich geben, ist es ganz bequem zu ermöglichen, daß es bis Anfangs September a. c. erscheint! Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen dazu: Keines der Stücke ist mehr als mittelschwer. […] beide Manuskripte sind genauestens durchgesehen u. beide gründlichst praktisch ausprobiert. Ich sehe jeder Kritik dieses Werkes mit Ruhe entgegen.“ (Brief Regers an Theodor Kroyer, 13. Juli 1901) Die Korrekturabzüge, die für Reger mehr Arbeit bedeuteten als von ihm erwartet, gingen am 9. August 1901 zurück an den Verlag. Bereits am 4. September 1901 dankte „Akkordarbeiter“ Reger nach Empfang seiner Freiexemplare „für die so schöne Ausstattung des Werkes“ (Brief Regers an Henri Hinrichsen, 4. September 1901).
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die ORGEL.LITURGIE unter dem Motto „Immer Reger!“ präsentierte Orgelwerke des berühmten Komponisten in einer spannenden Bearbeitung für zwei Orgeln ... also von vorne und von hinten Reger für die feiernde Gemeinde. Wenn das nicht zum Regerschen Diktum passt: „Bei mir macht das nichts aus, ob man mich von vorn oder hinten sieht – Reger bleibt immer regeR.“
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin