Improvisiert!
Seit vielen Jahren bereichert Domorganist Wolfgang Kreuzhuber in regelmäßigen Abständen die Eucharistiefeiern im Linzer Mariendom mit seinem – so Christoph Niemand in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung der Orlando di Lasso-Medaille an den Domorganisten 2022 – „einzigartigen Format“ der Improvisationen zu den Perikopen des Sonntags, bei dem er „biblischen Text, Homilie und Orgelklang in Dialog“ bringe. Bei der ORGEL.LITURGIE unter dem Motto Improvisiert! am 15. Januar 2023 hat er dies einmal mehr bewiesen – kongenial abgestimmt mit Domkurat Josef Keplinger, der sich in der Homilie den Versen widmete, die Kreuzhubers Improvisationen an der Rudigierorgel zugrunde lagen.
Feier der Liturgie: Gott gibt uns sein Wort – und leiht uns sein Ohr!
In seiner Begrüßung zitierte Domkurat Josef Keplinger einleitend ein Wort des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Es ist Gottes Liebe zu uns, daß er uns nicht nur sein Wort gibt, sondern uns auch sein Ohr leiht.“ Weiter führte Keplinger aus: „In der Feier der Liturgie kommen diese beiden Dimensionen zusammen, werden eins. Wir dürfen Gottes Liebeswort hören und gleichzeitig wissen, dass er sein Ohr an unser Herz legt, das schlägt aus Dankbarkeit für das Leben, das aber auch die Sehnsucht birgt nach versöhntem Leben, nach befreitem Leben, nach Heil.“
Am Beginn seiner Predigt führte Keplinger wunderbar in das Konzept des Gottesdienstes ein, indem er erklärte: „,Nehmt Gottes Melodie in euch auf‘, so schrieb Bischof Ignatius von Antiochien zu Beginn des zweiten Jahrhunderts an eine christliche Gemeinde. Oft wurde dieser Satz zitiert. Und doch ist er uns vielleicht eine Spur weit fremd: Gott – eine Melodie, ein Klang? Wir sind es zwar gewohnt, dass Gott uns ,zu Gehör gebracht‘ wird, aber doch wohl eher durch das überlieferte und verkündete Wort, so wie es das Zweite Vatikanische Konzil betont: ,In den Heiligen Schriften kommt ja der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf.‘ Die Feier der Liturgie, in der die Texte der Heiligen Schrift eine zentrale Rolle spielen, ist eigentlich ein wirkmächtiger Dialog, Lebensaustausch mit Gott, ein Beziehungsgeschehen, für das Worte allein aber nicht ausreichen, weil Gottes Geheimnis tiefer liegt, als Worte fassen können.“
Weiter erläuterte der Domkurat: „Mir kommt da ein Satz in den Sinn, der Victor Hugo zugeschrieben wird: „Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann, worüber zu schweigen aber unmöglich ist.“ Gottesbeziehung, Glaube, einmal von Klang und Musik her zu denken, hat doch etwas Interessantes, etwas wunderbar Spielerisches und Lebendiges. Genau in diesem Sinne werden uns heute in diesem Gottesdienst vier Verse der biblischen Lesungen durch Orgelklang ausgelegt, gepredigt. Wo das Wort sich in Klang übersetzt, da erzählt Gott von sich und von uns in einer ganz eigenen, kraftvollen und gleichzeitig zärtlichen Weise … die Frohbotschaft als ein Klangraum, in dem wir unser Leben hineinbergen dürfen.“ Insofern bedarf es keiner beschreibenden Worte über Wolfgang Kreuzhubers Improvisationen, sie sprechen für sich – wunderbar begleitet von Josef Keplingers Gedanken zu den einzelnen Versen:
„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ (1 Kor 1,3)
Apostel Paulus eröffnet seinen Brief an die Gemeinde in Korinth mit einem wunderbaren Zuspruch: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ Mit der klanglichen Übersetzung dieser Zusage haben wir heute den Gottesdienst begonnen. Das drückt aus: Auch wir dürfen in der Gnade leben, in Gottes Frieden. Diese Worte mögen vielleicht für manche liturgisch abgegriffen wirken, wir hören sie so oft. Und doch gehört sie wirklich zum Fundament christlichen Glaubens. Gnade ist keine dinghafte Größe, sondern meint die vorbehaltlose Annahme durch Gott, Teilhabe an seinem Leben und so höchste Erfüllung menschlicher Sehnsucht. Gott schenkt uns nicht etwas, er verschenkt sich – und das nicht irgendwann, sondern heute.
Wenn Paulus Gnade zusagt, dann sagt er gleichzeitig: Rechnet mit Gott in eurem Leben und seid gewiss, dass er euer Leben erfüllt – wie der Orgelklang den Raum. Nichts, was wir in dieser Welt finden, kann uns ganz erfüllen, weil die Welt eine Nummer zu klein ist für unsere Lebenssehnsucht. Deshalb überschüttet uns Gott mit seiner Gnade, hüllt uns ein in sich selbst, damit wir nicht klein vom Leben denken müssen.
„Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist ... Ich mache dich zum Licht der Nationen.“ (Jes 49,6)
Das Geschehen der Gabenbereitung wird nachher klanglich von einer zentralen Aussage aus dem Buch Jesaja begleitet: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist ... Ich mache dich zum Licht der Nationen.“ Ein Vers aus dem sogenannten zweiten Gottesknechtslied, das den Menschen im babylonischen Exil Rettung und Heimkehr verheißt. Ein Knecht wird erwählt, das zu vollbringen. Aber wichtig ist es, den genauen Umfang seiner Berufung zu hören. Es geht um eine Sendung, nicht nur für das Volk Israel, sondern für die ganze Welt. Christinnen und Christen haben vor dem Hintergrund dieser Verheißung das Leben und die Botschaft Jesu interpretiert: sein Erscheinen, sein Handeln. Und sie haben dadurch ihre eigene Berufung tiefer verstanden, nämlich: Licht zu sein für andere, Licht vor und für die Menschen. Wenn Brot und Wein bei der Gabenbereitung als Ausdruck der feiernden Gemeinde als Gaben zum Altar gebracht werden, so drückt sich darin unsere Offenheit für Gott aus – und unsere Sehnsucht, von ihm angenommen zu werden. Und wenn wir nach dem Hochgebet diese geistgetränkten Gaben als Speise empfangen, dann wird darin innigster Lebensaustausch mit dem gefeiert, der als Licht der Welt erschienen ist. Dann leuchtet in diesem Moment unsere Berufung auf, nämlich: aus dieser Feier heraus aufzubrechen und diese Beziehung wirken zu lassen, sein Licht leuchten zu lassen, mitten in unserer Welt.
„Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ (Joh 1,29)
Die Propheten und die Apostel predigten über den Messias, den Erlöser, in seiner Abwesenheit: einige bis zu seinem Kommen, andere nach seiner Himmelfahrt. Nur Johannes der Täufer predigte in seiner Gegenwart: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ In jeder Eucharistiefeier wird uns dieser Vers zugerufen, weil er sich in jeder Feier aktualisiert. Er ist nicht Vergangenheit – er ist Gegenwart. Während heute die Kommunion gereicht wird, wird uns dieser Vers musikalisch übersetzt. Bei welchem Wort, bei welchem Bild bleiben wir denn persönlich hängen, wenn wir die Aussage des Täufers hören? Beim Bild des Lammes, dem Opfertier? Bei der schwierigen Frage nach der Interpretation des Todes Jesu? Mich persönlich bewegt das Wort „wegnehmen“. Sünden werden weggenommen. Man kann Sünde als Last interpretieren, die das Leben niederdrückt, aber wohl noch eher als eine Kluft zwischen Gott und Mensch, die überbrückt wird – von Gott her, weil wir sie von uns aus nicht überbrücken können: Das Lamm Gottes als entgegengestreckte Hand über den Abgrund, der sich durch die Sünde auftut, durch das wieder zusammenkommt, was zusammengehört: Gott und Mensch – und die Menschen untereinander.
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): Improvisation über „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ (Joh 1,29) | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
„Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.“ (Joh 1,34)
Mit einem weiteren Wort aus dem Mund des Täufers klingt schließlich heute der Gottesdienst nach dem Segen aus: „Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.“ So viele Menschen haben über Jahrhunderte dieser Aussage Glauben geschenkt. In Jesus ist der Sohn Gottes erschienen. Er ist mehr als ein guter Mensch, ein Guru, ein Weltverbesserer, ein Vorbild. In Jesus hat Gott uns sein Gesicht gezeigt, sich übersetzt in die Welt herein. Wird dieser Glaube lebendig bleiben? Es ist Auftrag von uns Getauften, ihn zur Sprache zu bringen, ihn zu bezeugen, ihn zu übersetzen. Wie muss das Sprechen über ihn sein, den Sohn Gottes, dass die Welt ihn verstehen kann? Vielleicht in der Weise, die Paul Claudel einmal angedeutet hat, wenn er schreibt: „Rede über Christus nur dann, wenn Du gefragt wirst, aber lebe so, dass man Dich nach ihm fragt!“
Schönheit der Liturgie: Wort und Musik im Einklang
Vor dem Segen bedankte sich Domkurat Josef Keplinger bei Domorganist Wolfgang Kreuzhuber dafür, dass er „[…] heute wieder einmal die Schatztruhe seines Könnens ganz weit für uns aufgemacht hat“. Lautstarker Applaus der Gemeinde, die den gesamten Gottesdienst mit aufmerksamer Spannung mitgefeiert hatte, folgte – und beseelt verließ nicht nur selbige den Linzer Mariendom, sondern auch die beiden geistigen Väter dieses Gottesdienstes. So resümierte Domorganist Wolfgang Kreuzhuber: „Ich bin selbst völlig beseelt aus dem Gottesdienst gegangen, weil die Exegese in Musik und Sprache eins geworden sind.“
Summa summarum: Eine Feier, in der ausdeutende und spirituell tiefgehende Musik auf Augenhöhe mit dem Wort agierte.
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin