DOMINANT mit Wolfgang Kreuzhuber
Der Mariendom Linz und die Rudigierorgel. Sie sind wahrlich DOMINANT in Wolfgang Kreuzhubers 65 Jahre währendem Leben. Denn er ist seit 1. September 1982 Domorganist an „einer der herrlichsten Orgeln der Welt“ (Gaston Litaize) in der größten Kirche Österreichs. Was für ein Jubiläum! Nicht umsonst pflegt Kreuzhuber nach 40 Jahren über seine Lebensliebe Rudigierorgel zu sagen: „Ich weiß, was die Orgel will und die Orgel weiß, was ich will ...” Und das hörte man auch bei seinem DOMINANTen ORGEL.SOMMER-Konzert am 1. September 2022, bei dem er mit Werken von Guy Bovet, César Franck, Nicolas de Grigny, Fritz Kreisler, Carl Piutti und Charles Villiers Stanford und einer typischen Kreuzhuberschen Improvisation sein 40-Jahr-Jubiläum im Beisein des zahlreich erschienenen ORGEL.SOMMER-Publikums feierte!
In seiner Begrüßung des ORGEL.SOMMER-Publikums näherte sich Dompfarrer Maximilian Strasser, gleichzeitig auch stellvertretender Obmann des Dommusikvereins Linz, dem mehrdeutigen Konzerttitel: „Die Orgel ist ein dominierendes Instrument und der, der spielt, gibt den Ton an, aber es sagt auch, dass im Leben von Wolfgang Kreuzhuber die Orgel eine dominierende Rolle spielt. Wir hören heute [...] ein Konzert, aber eigentlich ist jeder Sonntagsgottesdienst, bei dem er die Orgel spielt, ein kleines Konzert ... und ich genieße es, wenn ich ihn spielen höre.“ Das beeindruckende Dienstjubiläum verband Strasser mit der biblischen Zahl 40: „Israel war 40 Jahre in der Wüste und manchmal ist auch Musizieren ein wenig eine Wüstenwanderung, für den, der sie betreibt [...]. Aber für die, die mitgehen, ist es immer eine Freude. Für Mose enden die 40 Jahre in der Wüste auf dem Berg Nebo: Er blickt hinein in das Land, das Gott seinem Volk Israel verheißen hat. [...] Und das ist für mich ein Bild, [...] wenn ich Wolfgang Kreuzhuber an der Orgel spielen höre: Dann ist es für mich immer auch ein Blick hinein in eine schöne neue Welt. Sein Orgelspiel erschließt etwas, was Hoffnung gibt.“ Nach diesem sehr persönlichen Dank für Kreuzhubers Wirken lud der Dompfarrer herzlich zum RAUMKLANG: HARFONISCH für zwei Orgeln und zwei Harfen am 8. September 2022, dem Finale des ORGEL.SOMMERs im Mariendom Linz, ein und wünschte dem Publikum „ein tiefes Erleben der Musik“.
Hymnisch!
Mit Nicolas de Grignys A solis ortus eröffnete Domorganist Wolfgang Kreuzhuber sein Jubiläumskonzert. Der 1672 in Reims getaufte Nicolas de Grigny entstammt einer Familie von Organisten und übte von 1693 bis 1695 das Organistenamt an der Basilique de Saint-Denis in Paris aus. Nach seiner Heirat kehrte er 1696 nach Reims zurück, wo er ab 1697 bis zu seinem frühen Tod 1703 den Titel organiste de l’église métropolitaine de Reims führte. Grignys Werke sind charakterisiert durch anspruchsvolle Kontrapunktik, farbenreiche Konstrastierung, ausgiebigen Gebrauch des Pedals und engen Bezug zur Gregorianik, sodass sein 1699 publiziertes Livre d’Orgue als Zusammenfassung der französischen Orgelkunst seiner Zeit betrachtet werden kann. Das Livre d’Orgue ist Grignys einzig erhaltenes, aus zwei Teilen und neun Stückgruppen bestehendes Werk: Der erste Teil umfasst Stücke für das Ordinarium, der zweite Teil enthält Vertonungen von fünf Hymnen für Laudes und Vesper (Veni creator, Pange lingua, Verbum supernum, Ave maris stella und A solis ortus). Das viersätzige Werk Grignys vertont den aus dem fünften Jahrhundert stammenden Hymnus A solis ortus cardine des frühchristlichen Dichters Caelius Sedulius, der das Leben Christi von der Geburt bis zur Auferstehung erzählt.
Franckophil!
In seinem DOMINANTen Konzert verneigte sich Domorganist Wolfgang Kreuzhuber mit dem exquisiten Cantabile aus den Trois Pièces pour Grand Orgue auch vor Jubilar César Franck, dessen Geburtstag sich 2022 zum 200. Mal jährt.
Franck komponierte seine Trois Pièces für die von Cavaillé-Coll zur Weltausstellung 1878 im Salle des Fêtes des Pariser Palais du Trocadéro erbaute erste große Konzertsaalorgel Frankreichs. Im wohl bedeutsamsten Konzert seiner Karriere am 1. Oktober 1878 improvisierte Franck über Themen von Félicien David, Héctor Berlioz und George Bizet sowie über Volksliedthemen aus England, Russland, Schweden und Ungarn. Daneben spielte er sein Grande Pièce symphonique und führte die Trois Pièces, die wenige Wochen zuvor zwischen 10. und 17. September entstanden waren, zum ersten Mal auf. Selbst wenn der Anlass für die Komposition vermutlich mit keiner bestimmten religiösen Absicht Francks verbunden war: Seine Schüler Vincent d’Indy und Charles Tournemire schrieben dem Werk ihres verehrten père Franck ein geistliches Element zu, so charakterisierte d‘Indy die Trois Pièces als „das typische Gebet eines Künstlers“, der „auch ein wahrer Christ ist“.
Klassisch!
Mit der Orgelbearbeitung eines Stücks von Fritz Kreisler würdigte Domorganist Kreuzhuber auch den vor sechzig Jahren verstorbenen, gebürtig aus Wien stammenden Violinvirtuosen, der jahrzehntelang Liebling des Publikums in aller Welt war. Der 1875 als Sohn eines jüdischen Arztes geborene Kreisler erhielt bereits im Alter von vier Jahren den ersten Geigenunterricht von seinem Vater. 1882 wurde das „Wunderkind“ siebenjährig in das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufgenommen und von Joseph Hellmesberger jun. in Violine und Anton Bruckner in Musiktheorie unterrichtet. Am Ende seines Studiums am Conservatoire de Paris (1885–1887) wurde er im Alter von 12 Jahren mit dem begehrten Premier prix ausgezeichnet. Ab 1915 lebte Kreisler mit seiner Frau Harriet, die er 1901 kennengelernt hatte, in den USA und bereiste für Konzerttourneen die ganze Welt, bevor sich das Paar 1924 schließlich in Berlin niederließ. Während des Nationalsozialismus waren der Verkauf seiner Werke sowie die Aufführung seiner Aufnahmen verboten. Von 1939 bis zu seinem Tod 1962 lebte er in New York und kehrte nie wieder nach Europa zurück. Mit seinem Spiel beeinflusste der komponierende Virtuose Generationen von Geiger:innen, auch wenn er offiziell nie unterrichtet hat.
In seiner 1915 veröffentlichten Komposition Rondino würdigt Kreisler ein kleines Rondo für Solovioline und Klavier aus der Feder Ludwig van Beethovens, der zunächst beabsichtigte, es im finalen Satz seines Bläseroktetts in Es-Dur zu verwenden, dies aber wieder verwarf und 1808 ohne Opuszahl publizierte. Kreisler erläuterte seine Herangehensweise an die Bearbeitung: „Dieses Thema besteht bloß aus acht Takten, die sich in einer sehr frühen, unwichtigeren und heute vergessenen Komposition Beethovens finden. Das kleine Thema selbst ist von außerordentlichem Reiz, und sein Rhythmus ist so zauberhaft, daß sich die Wirkung bei jeder Wiederholung steigert. In der Absicht, diese Besonderheiten auszunützen, beschloß ich, das Thema in Rondoart zu bearbeiten, ist doch das Rondo eine Kompositionsform, bei der eine kurze Melodie in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen ständig wiederkehrt. [...] Ich habe versucht, den alten klassischen Stil das ganze Musikstückchen hindurch zu wahren, und ich hoffe, daß mir das gelang.“ Wolfgang Kreuzhuber gelang für sein DOMINANTes Konzert in jedem Fall eine spannende Orgelbearbeitung des Rondino. Gewidmet hat es Kreisler dem aus der Ukraine stammenden Violinvirtuosen Mischa Elman – wie es dazu kam, verriet er im Detail: „Ich war zufällig mit Mischa Elman und Leopold Godowsky beisammen, als ich gerade das Rondino andeutungsweise skizziert hatte! Es war lediglich ein Entwurf. Elman nahm ihn zur Hand und begann zu spielen. Dann fiel Godowsky auf dem Klavier ein, und die beiden trieben nun allerlei Clownerien, indem sie mit den Füßen stampften und meine Komposition verulkten. Zur Strafe habe ich sie Mischa dediziert.“
Blau!
Alle Liebhaber:innen englischer Chormusik beschenkte Wolfgang Kreuzhuber mit seiner Orgelbearbeitung von Charles Villiers Stanfords Komposition The Blue Bird. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt der 1852 in Dublin geborene Stanford als einer der bedeutendsten Musiker im englischsprachigen Raum. Durch sein Wirken als Interpret, Dirigent, Komponist, Lehrer und Autor beeinflusste er die Arbeit vieler Komponist:innen und Musiker:innen. Das Interesse an Stanfords umfangreichem kompositorischem Schaffen, das sich der gesamten Bandbreite musikalischer Gattungen widmet, hat in den letzten zwei Jahrzehnten erfreulicherweise wieder zugenommen. Das Stück The Blue Bird entstammt Stanfords 1910 veröffentlichter Sammlung 8 Part-Songs, die Gedichte von Mary Elizabeth Coleridge vertont. The Blue Bird liegt das 1897 ursprünglich unter dem Pseudonym Anodos auf Französisch veröffentlichte Gedicht L’Oiseau Bleu zugrunde, das im Stil einer Momentaufnahme von einem blauen Vogel erzählt, der im freien Flug über einen friedlichen See dahinschwebt. Die fehlende Auflösung im Schlussakkord von Stanfords musikalischer Textausdeutung sieht Musikwissenschaftler Jeremy Dibble, der The Blue Bird mit seiner Fülle an blauen Bildern und der Explosion von Reflexionen und Lichtern als „one of the greatest English part-songs ever written“ betrachtet, dabei als „inimitable version of the eternal“.
Festlich!
Carl Piutti. Mit ihm stellte Wolfgang Kreuzhuber einen weniger bekannten Komponisten vor. Der 1846 im thüringischen Elgersburg geborene Sohn eines Kurarztes des ortsansässigen Wasserheilbades wirkte ab 1875 am Leipziger Konservatorium als Lehrer für Orgel und Musiktheorie und ab 1880 bis zu seinem Tod 1902 als Thomasorganist an der Thomaskirche in Leipzig. Piuttis Fest-Hymnus machte seinem Namen alle Ehre: Denn der festlich-hymnische Rahmensatz verbindet eine Fuge über B-A-C-H mit einer Fantasie über Nun danket alle Gott. Die Anregung zum erklingenden Fest-Hymnus gab laut seinem Schöpfer die Fertigstellung der renovierten Leipziger Thomaskirche sowie die Einweihung der Orgel auf der Westempore aus der Werkstatt von Wilhelm Sauer im Jahr 1889. Nachdem die Idee in diesem Rahmen nicht zur Umsetzung kam, wurde das Stück erst im Juni 1890 bei einem Konzert des Riedel-Vereins durch Paul Homeyer uraufgeführt. Gewidmet ist das Werk daher auch dem gebürtig aus dem Harz stammenden Homeyer, der ab 1881 im Riedel-Verein in Leipzig als Organist tätig war und ab 1884 im Leipziger Gewandhaus als erster Gewandhausorganist fungierte.
Mozärtlich!
Wenn es nach dem Schöpfer des nächsten Werkes in Kreuzhubers DOMINANTen Konzert gegangen wäre, müssten sowohl Werk als auch sein Urheber geheim bleiben. Denn dieser bemerkte schelmisch im Vorwort seiner Notensammlung, der das Stück entnommen ist: „I included two humorous pieces to be handled with care. I was tired of making photocopies of the manuscript after each performance. I advise organists not to use the titles which I had to give them, but to play them as encores without giving the piece‘s (or the author‘s) names. It is funnier this way.“ Lustig wurde es aber in jedem Falle – auch mit Wissen um Komponist und Titel des Werkes ... Denn der 1942 in Thun geborene Komponist Guy Bovet, der bei Marie-Claire Alain in Paris studierte, spanische Orgelmusik an der Universität von Salamanca unterrichtete, den Tango an die Orgel brachte und unglaubliche 13 Sprachen spricht, ist nicht nur in Orgelkreisen für seine pfiffigen und außergewöhnlichen Werke bekannt. Seinem 1988 entstandenen Stück Le Boléro du Divin Mozart legt er einen Bolerorhythmus zugrunde, über dem sich ein Werk entwickelt, das Mozarts Harmonien und Klangwelten auferstehen lässt. Opus 139 in Guy Bovets durchwegs originellem Schaffen bildet so eine faszinierende Synthese zwischen prägnantem Tanzrhythmus und mozartähnlichem Sonatensatz.
Überraschend!
Ein DOMINANTes Konzert von Domorganist Wolfgang Kreuzhuber muss natürlich mit einer Improvisation enden! Das Improvisationstalent brachte eine beeindruckende dreisätzige Improvisation im symphonischen Stil über Nun lobet Gott in hohem Thron (GL 393) zu Gehör (Allegro con spirito – Cantilene – Toccata). Damit schuf Kreuzhuber eine gedankliche Verbindung zu Jubilar César Franck – auch wenn er natürlich in seiner eigenen, ganz besonderen Tonsprache improvisierte und so ganz festlich die nächsten marienDOMINANTen Jahre einläutete!
Wolfgang Kreuzhuber (*1957): Improvsation im symphonischen Stil über Nun lobet Gott in hohem Thron (GL 393) | Toccata | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Für den lautstarken Applaus mit Standing Ovations des begeisterten ORGEL.SOMMER-Publikums bedankte sich Wolfgang Kreuzhuber mit einer swingenden Improvisation über Bert Kaempferts Klassiker Strangers in the Night.
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin