Orgelmusik aus dem 17. Jahrhundert
Werke von Pablo Bruna (1611–1679), Arnold Matthias Brunckhorst (ca. 1670–1725), Samuel Scheidt (1587–1654) und Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621) standen bei der ORGEL.LITURGIE an der Rudigierorgel auf dem Programm. Mit der Gemeinde im Mariendom Linz feierte Dompfarrer Maximilian Strasser.
Jan Pieterszoon Sweelinck
Mit Jan Pieterszoon Sweelincks Toccata in d, SwWV 285, verneigte sich Dommusikassistent Gerhard Raab gleich beim Einzug vor dem Komponisten, dessen Todestag sich tags zuvor zum 400. Mal jährte.
Jan Pieterszoon Sweelinck wirkte wie bereits sein Vater Pieter Swibbertszoon an der Oude Kerk in Amsterdam – auf den beiden Niehoff-Orgeln von 1542 und 1545 spielte der Virtuose und Pädagoge von 1577 bis zu seinem Tod 1621 letztlich 44 Jahre. Bereits ein Jahr nach der Übernahme des Amtes veränderte sich seine Stelle grundlegend: Im Zuge der Alteratie von Amsterdam wurde eine der letzten katholischen Bastionen der nördlichen Niederlande calvinistisch – Orgelmusik und Orgeln zählten im Calvinismus zu den wichtigsten Relikten der katholischen Liturgie, daher wurde ein Verbot von Orgelmusik während des Gottesdienstes erteilt und die Entfernung der Orgeln aus den Kirchen angeordnet. Die Amsterdamer Stadtbehörde, Eigentümerin der Kirchen und Orgeln, bewahrte nicht nur die Orgeln vor diesem Schicksal, sondern behielt auch deren Spieler als städtische Organisten. Damit wandelte sich Sweelincks Aufgabenbereich: Er spielte nur noch vor und nach den Messen und veranstaltete außerdem regelmäßig öffentliche Konzerte. Sweelinck bewegte sich in der Amsterdamer Gesellschaft als aufgeschlossener und liberaler Bürger und pflegte Kontakte zu beiden Konfessionen – diese Offenheit charakterisiert auch seine Musik.
Ab 1600 ging Sweelinck neben seiner Tätigkeit als Organist einer intensiven Lehrtätigkeit nach, im Zuge deren er viele bedeutende Organisten aus Nord- und Mitteldeutschland wie Jacob Praetorius, Heinrich Scheidemann oder Samuel Scheidt aus- und weiterbildete, was ihm in Johann Matthesons „Grundlage einer Ehren-pforte“ den Titel eines „hamburgischen Organistenmachers“ einbrachte. Sweelincks eigene Kompositionen für Tasteninstrumente nehmen in der Musik des frühen 17. Jahrhunderts einen herausragenden Platz ein, bedingt durch die künstlerische Freiheit fernab des traditionellen liturgischen Rahmens und beeinflusst durch paneuropäische Einflüsse und die langjährige Erfahrung als Improvisator – einzigartig in ihrer Vielseitigkeit und erfindungsreich in ihren Modellen, Themen und Figurationen. Seine neuartige Form von Instrumentalpolyphonie präsentiert Sweelinck damit erst im reiferen Lebensalter – die über 60 erhaltenen Werke zeichnet stilistische Einheit und hohe Qualität aus, sodass es nicht verwundert, dass diese heute zum festen Bestand des Repertoires von Organistinnen und Organisten zählen.
Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621): Toccata in d, SwWV 285 | Rudigierorgel: Dommusikassistent Gerhard Raab
Samuel Scheidt
Dommusikassistent Gerhard Raab musizierte zur Gabenbereitung Samuel Scheidts „Wir gläuben all‘ an einen Gott (Versus 1)“, SSWV 102, aus dessen „Tabulatura nova“. Die „Tabulatura nova“ aus dem Jahr 1624 mit 58 Werken (255 Einzelsätzen) in drei Teilbänden gilt als bedeutendste Sammlung von Kompositionen für Tasteninstrumente, die vor dem 18. Jahrhundert in Deutschland im Druck erschien. Mit 765 Seiten originaler Partiturnotation zählt die Sammlung außerdem zu den umfangreichsten Druckwerken in der Geschichte der „Claviermusik“. Scheidt präsentiert darin virtuose Orgelkunst, deren Grundlagen er sich durch seine Studien bei Jan Pieterszoon Sweelinck erworben hatte. Vermutlich war Scheidt von 1607 bis 1609 in Amsterdam, um bei dem „hamburgischen Organistenmacher“ zu lernen, wohl auf Veranlassung und durch Finanzierung des Kurfürsten Joachim Friedrich von Brandenburg, in dessen Hoforganistendienst Scheidt nach seiner Rückkehr auch trat.
Pablo Bruna
Das Tiento de medio registro de mano derecha de 1° tono von Pablo Bruna während der Kommunion entführte musikalisch ins Spanien des 17. Jahrhunderts. Der Titel des Tientos verrät bereits, dass darin die rechte Hand die Solistenrolle spielt – leicht im musikalischen Diskurs, reich an Verzierungen und arabeskenartigen Melismen. Der Blick auf das Leben des Komponisten, der neben Sebastián Aguilera de Heredia und José Jiménez zur aragonesischen Schule der goldenen Epoche der spanischen Tastenmusik zählt, beeindruckt: Der aus Daroca im spanischen Aragonien stammende Sohn des Handwerkes Blas Bruna und seiner Frau María Tardez erblindete bereits als Kind infolge einer pockenartigen Infektion. Trotzdem ließ sich der junge Mann zum Organisten ausbilden und wirkte ab 1631 als Titularorganist der Basilika Colegiata de Santa Maria de los Sagrados Corporales in seinem Heimatort. Bald erwarb sich der „Blinde von Daroca“ („el ciego de Daroca“), wie sein Beiname – verbindend zu Antonio de Cabezón, dem „Blinden von Burgos“ – lautete, solchen Ruhm, dass sogar König Philipp IV. nach Daroca reiste, um dem Künstler zu lauschen. Nach einem Ruf als Hoforganist von König Philipp IV. im Jahr 1650 verbrachte Bruna seine letzten Lebensjahre wieder in seinem Geburtsort, wo er 1679 starb.
Arnold Matthias Brunckhorst
In einem Konvolut in den Beständen der Staatsbibliothek zu Berlin wurde das „Praeludium con Fuga. ex Gb. pedaliter. di. Mons: Prunth.“ entdeckt, das 1730 von Johannes Ringk (1717–1778) aufgezeichnet worden war. 1968 wurde das Werk im Rahmen des Erstdrucks aus stilkritischen Gründen Nicolaus Bruhns zugeschrieben, 2006 wurde diese Zuordnung durch Dietrich Kollmannsperger aufgrund wesentlicher Entsprechungen mit Arnold Matthias Brunckhorsts einziger weiterer Orgelkomposition, dem Praeludium in e-Moll, revidiert – zumal die recht verschnörkelte Paraphe „Prunth.“ auch als „Brunkh.“ oder „Brunck.“ gedeutet werden kann. Der Stil seiner Kompositionen für Tasteninstrumente zeigt eine Nähe zur norddeutschen Orgelschule, wie das zum Auszug von Dommusikassistent Gerhard Raab musizierte Praeludium in g beweist. Brunckhorst (mitunter auch Arnoldus Melchior oder Arnoldÿ Matthias) wurde um 1670 in Celle oder Wietzendorf geboren. Nach Anstellungen als Organist an verschiedenen Kirchen von Hildesheim (ab 1693 St. Martini, ab 1695 St. Andreas) und der Stadtkirche Celle (ab 1697) als Organist bei dem dort residierenden Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg folgte er 1720 dem Ruf an den Hof von Hannover als Hoforganist. Diese Stelle hatte er vermutlich bis zu seinem Tod 1725 inne. Neben seiner Tätigkeit als Komponist und Organist dürfte sich Brunckhorst – wie Akten und Rechnungen zeigen – auch mit Orgelbau beschäftigt haben.
Quellen:
Beckmann, Klaus: Einleitung. In: Beckmann, Klaus (Hrsg.) (2006): Nicolaus Bruhns (1665–1697) / Arnold Matthias Brunckhorst (um 1670–1725): Sämtliche Orgelwerke. Mainz: Edition Schott (= Meister der Norddeutschen Orgelschule 13). S. 4–6.
Dirksen, Peter/Vogel, Harald: Einleitung. In: Dirksen, Peter/Vogel, Harald (Hrsg.) (2004): Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621): Sämtliche Werke für Tasteninstrumente. Wiesbaden/Leipzig: Breitkopf & Härtel. S. 6–10.
Schmidt, Harro/Beckmann, Klaus: Brunckhorst, Arnold Matthias. In: Lütteken, Laurenz (Hrsg.) (2020): MGG Online. URL: www.mgg-online.com/ mgg/stable/398101
Stella, Carlo: Einleitung. In: Stella, Carlo (Hrsg.) (1979): Pablo Bruna (1611–1679): Cinque composizioni inedite per organo. Milano: Edizioni Suvini Zerboni. S. X–XI.
Vogel, Harald (Hrsg.) (1998): Samuel Scheidt (1587–1654): Tabulatura nova. Wiesbaden/Leipzig: Edition Breitkopf.
Stefanie Petelin
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