VOYAGE D'ORGUE mit Elke Eckerstorfer
Elke Eckerstorfer, die in Wien lebende Pianistin, Organistin und Cembalistin mit Welser Wurzeln, begeisterte das ORGEL.SOMMER-Publikum durch ihre facettenreiche Musik aus Europa. Das Publikum im Linzer Mariendom gab sich im Sinne Kurt Tucholskys ganz den wunderbaren Reiseklängen hin: „Entspanne dich. Laß das Steuer los. Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben.“
Tänzerisch!
Elke Eckerstorfer musizierte zum Auftakt Sigfrid Karg-Elerts (1877–1933) beeindruckende Choral-Improvisation Nummer 59 „Nun danket alle Gott“ aus dessen Sammlung „66 Choral-Improvisationen“, op. 65. Bei dieser als Marche triomphale angelegten Komposition handelt es sich vermutlich um eines der bekanntesten Orgelwerke des Komponisten – nicht zuletzt durch seine Beliebtheit als Einzugsmusik für Hochzeiten. Durchsichtig und lebendig im Klang, tänzerisch und heiter in Artikulation und Diktion, von Karg-Elert mit der Angabe „Mit festlichem Glanz, breit, aber nicht zu langsam (Alle Rigaudon)“ überschrieben. All das – musikalisch wunderbar umgesetzt von Elke Eckerstorfer an der Rudigierorgel.
Sigfrid Karg-Elert (1877–1933): 66 Choral-Improvisationen, op. 65: 59. Nun danket alle Gott | Rudigierorgel: Elke Eckerstorfer
Bei den „66 Choral-Improvisationen“ über evangelische Kirchenlieder – publiziert in sechs Heften zu je elf Stücken – handelt es sich nicht nur um den umfangreichsten Werkzyklus des Komponisten, sondern auch um die ersten für Orgel konzipierten Werke. Karg-Elerts Choral-Improvisationen bestechen dabei durch ihren Reichtum an unterschiedlichen Bearbeitungstechniken der Choralmelodien, ganz im Sinne musikalischer Porträts.
Gewidmet ist sein Opus 65, das für den konzertanten wie liturgischen Gebrauch gedacht ist, dem französischen Komponisten Alexandre Guilmant, dessen Stückesammlung „L’organiste liturgiste“ ebenfalls die Opuszahl 65 trägt. Nach Erscheinen der ersten Hefte im Berliner Carl Simon Verlag bedankte sich Guilmant: „[...] hier findet man Wohlklang, ausgezeichnete kompositorische Handschrift und Gefühl für Poesie wie selten in der Orgelmusik.“ Godfrey Sceats, ein Freund Karg-Elerts aus England, erinnerte sich 1940 an einen Ausspruch von Harvey Grace: „[...] when Reger’s Choral-Preludes were published we took off our hats, but when Karg-Elert’s Choral-Improvisations were published we threw them into the air with delight.“
Mindestens drei Jahre arbeitete Karg-Elert an seinen Stücken – bereits am 27. Februar 1909 schrieb er an seinen Verleger Simon: „Mir fällt weiß Gott nicht so leicht etwas schwer, – aber diese Sache? Auch – meine Schwester sieht es jetzt und hört es mit eigenen Augen und Ohren, wie ich mich kümmerlich von Note zu Note weiterbeiße! Eine Arbeit zum Steine erweichen!“ Diese Mühen hatte er Jahre später vergessen, wie ein Brief an Sceats vom 12. Juli 1926 verrät: „Es sang und klang und verklang. Melodien kamen und gingen wie Vögel unter dem Himmel. Ungezähltes verschwand für immer, wie das Glück im Traum. ,Erarbeitet‘, ,erklügelt‘ habe ich gar nichts, nur ,aufgefangen‘, was mir die Inspiration zutrug.“
Lyrisch!
Mit Louis Marchands (1669–1732) Tierce en Taille machte Elke Eckerstorfer nach dem Abstecher nach Deutschland im Frankreich des 17. Jahrhunderts Station. Marchand zeigt in seinem in der Tradition der französischen Orgelmusik stehenden Tierce en Taille auf bezaubernde Weise seine lyrisch-poetische Note.
Das Leben des umjubelten und weitgereisten Virtuosen kann durchaus als legendenumwoben beschrieben werden. Bereits im Alter von vierzehn Jahren wurde das Wunderkind – selbst Sohn eines Organisten – an die Kathedrale von Nevers berufen. 1708 wurde er einer der vier „organistes du Roi“. Ab 1713 reiste Marchand schließlich durch Deutschland: Eine Anekdote besagt, dass er sich im September 1717 einem Wettspiel mit Johann Sebastian Bach am Dresdner Hof durch eine fluchtähnliche, überstürzte Abreise entzogen habe. Bis zu seinem Tod wirkte Marchand als Lehrer und Organist bei den Cordeliers (Franziskanern). Erst nach seinem Ableben wurde eine Auswahl seiner Orgelstücke publiziert.
Variationsreich!
Elke Eckerstorfers musikalische Reise führte von Frankreich weiter nach Spanien. Denn mit Obra de 8° tono alto – Ensalada erklang ein variationsreiches Stück im Stile eines Ricercars von Sebastián Aguilera de Heredia (1561–1627). Heredia wurde 1561 in Saragossa geboren und begann seine musikalische Karriere 1585 als Organist an der Kathedrale von Huesca. Heute gilt der Komponist als erste große Persönlichkeit der aragonischen Schule mit seinem kulturellen Zentrum Saragossa.
Zwei Quellen überliefern das Werk des spanischen Komponisten (Biblioteca de El Escorial, Archivo Diocesano de Solsona) – die zweite Quelle wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts von Bernar Cabré i Cercós, der den Fund in seinem Aufsatz „Una fuente inédita de la ensalada para órgano de Sebastián Aguilera de Heredia“ aus dem Jahr 2000 näher analysiert, entdeckt.
Visionär!
Mit Olivier Messiaen (1908–1992) kehrte Elke Eckerstorfer bei ihrer VOYAGE D‘ORGUE zurück ins Frankreich der 1930er-Jahre. Messiaen komponierte sein in Bogenform angelegtes Werk „Apparition de l'église éternelle“ („Erscheinung der ewigen Kirche“) im Jahr 1932 – es handelt sich dabei um sein erstes Orgelstück ohne Taktangabe. Inhaltlich geht das Werk auf den Hymnus zum Kirchweihfest („Caelestis Urbs Jerusalem“) zurück, in dem unter anderemgeschildert wird, dass die durch die Hammerschläge des Meisters geglätteten, lebendigen Steine in passender Fügung miteinander verbunden und zum Prachtwerk der ewigen Kirche aufgebaut werden. Diese Vision der ewigen Kirche spiegelt sich auf beeindruckende Weise in der musikalischen Anlage wider: Denn vom Pianissimo ausgehend baut sich das Stück zu einem Fortissimo-Höhepunkt mit einem vielstimmigen C-Dur-Akkord auf, um schließlich im Pianissimo wieder zu vergehen. (In dieser Anlage von Crescendo und Decrescendo erinnert Messiaens „Apparition de l'église éternelle“ an Claude Debussys Prélude „La Cathédrale engloutie“ aus dem Jahr 1910.) Der stetig pochende Bass, konsequent ein rhythmisches Muster wiederholend, setzt das Bild der unaufhörlichen Bauarbeit des göttlichen Arbeiters in Musik um.
Messiaens Komposition ist daher einmal mehr Ausdruck seiner, so Siglind Bruhn in ihrer 2006 erschienenen Publikation zu Messiaen, „musikalischen Sprache des Glaubens“. Denn Messiaens Kompositionen sind stets als persönliches Glaubensbekenntnis, als „klingende Theologie“, wie auch der Theologe Wolfgang W. Müller seine Beschäftigung mit dem Werk Messiaens 2016 überschreibt, zu deuten.
Messiaen schilderte seine Erfahrungen als Synästhetiker einmal mit folgenden Worten: „Wenn ich Klänge höre, sehe ich geistig Farben. Ich habe das öffentlich gesagt, ich habe es vor den Kritikern wiederholt, ich habe es meinen Schülern erklärt, aber niemand schenkt mir Glauben. Ich kann noch so reichlich Farben in meiner Musik verwenden, die Zuhörer hören, aber sie sehen nichts.“ Leuchtende Töne und klingende Farben. Sie sind das Metier Olivier Messiaens, dem Meister der Farb-Klänge und Klang-Farben. Das klingende Farbenspiel – welch würdiger Schlusspunkt für den bunten ORGEL.SOMMER 2021 an der Rudigierorgel!
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin