SERENADE IN BLUE mit Lilo Kunkel
Gar nicht blue fühlte sich das ORGEL.SOMMER-Publikum in Lilo Kunkels BLAUer Stunde, denn bei ihrer SERENADE IN BLUE begannen sogar die 5890 Pfeifen der Rudigierorgel mitzugrooven.
Nachtmusik!
Eröffnet wurde Lilo Kunkels abendliches Ständchen mit einer „Autumn Serenade“ aus dem Jahr 1945 von Peter DeRose, der vielen als Komponist von Evergreens wie „Buona Sera“, „Have You Ever Been Lonely?“ oder „Deep Purple“ bekannt ist und seit 1970 zur amerikanischen Songwriters Hall of Fame zählt.
Mit „Serenade in Blue“ erklang im Anschluss daran bereits das titelgebende Stück: Komponiert wurde es 1942 von Harry Warren, der im Laufe seiner Karriere mehr als (unglaubliche) 800 Songs – darunter den berühmten „Chattanooga Choo Choo“ und Etta James‘ Signature-Song „At Last“ – schrieb. Wie heißt es im Liedtext so schön: „When I hear that Serenade in blue, I‘m somewhere in another world ...“ – genau das erlebte das ORGEL.SOMMER-Publikum bei Lilo Kunkels Interpretation.
Musikalische Einblicke in die geheimnisvolle Welt um Mitternacht gewährte die Würzburger Organistin mit Stücken von Joe Zawinul, Ivan Lins und Ernie Krivda: Die erstmals 1966 aufgenommene, zauberhafte Walzermelodie „Midnight Mood“ stammt aus dem Repertoire des berühmtesten österreichischen Jazzmusikers. Nicht minder bekannt ist wohl Ivan Lins, der Schöpfer der „Night Mood“: Denn der Komponist, Pianist und Sänger bewegt sich in der Música Popular Brasileira ebenso gekonnt wie im Fusion Jazz und zählt heute zu den Superstars Brasiliens. Die mitternächtliche Stunde thematisierte auch Ernie Krivdas funkiger Shuffle „Irv’s At Midnight“ von 1992. Der in Ohio geborene Musiker ist sich sicher: „The music I play, a lot of the inspiration for it comes from the culture that is here in Cleveland“ – und das hört man auch an Krivdas originellem und einzigartigem Stil, von Kunkel kongenial auf die Orgel „übersetzt“.
Blue(s)!
Rahsaan Roland Kirks faszinierender „Lady’s Blues“ aus dem Jahr 1969 leitete das nächste Set ein. Der im Alter von zwei Jahren erblindete Multiinstrumentalist der „Black Classical Music“, wie er seine Musik bezeichnete, gilt heute als einer der innovativsten Musiker der Jazzgeschichte: Denn er konnte nicht nur drei Saxophone zugleich spielen, sondern baute auch eigene Instrumentenkreationen. Stets offen für alle musikalischen Einflüsse und Stile, unaufhörlich Inspirationen – sogar im Traum – suchend, ging Kirk immer wieder neue Wege. „I’m from the Religion of Dreams“, pflegte der einzigartige Musiker daher zu sagen. Einzigartig lässt sich auch Kunkels Interpretation des Stücks bezeichnen.
Charlie Parkers „Blues for Alice“ aus dem Jahr 1951 bestach schließlich durch die schnellen Akkord-Voicings im Bebop-Blues-Stil und das komplexe Akkordschema (die sogenannten „Bird Changes“), das nach dem Spitznamen des legendären Saxophonisten, Komponisten und Mitbegründer des Bebop („Yardbird“ bzw. „Bird“) benannt ist.
„Peggy‘s Blue Skylight“ widmete sich anschließend Charles Mingus‘ jazzige Komposition aus dem Jahr 1958. Benannt ist diese inzwischen in das Real Book aufgenommene und so zum Jazzstandard avancierte Nummer nach Peggy Hitchcock, einer Freundin des bedeutsamen amerikanischen Komponisten: „She wanted to take the blue plastic shield from the cockpit of a fighter plane and replace her skylight with it, so the sky would always be blue. The government wouldn’t let her do it.“
Mit Kenny Dorhams „Blue Bossa“ endete das Set mit einer zum Jazzstandard avancierten, von Elementen aus Hard Bop und Bossa Nova durchzogenen Komposition, deren Melodie möglicherweise von Dorhams Besuch beim Rio de Janeiro Jazz Festival 1961 inspiriert ist. Veröffentlicht wurde der „Blue Bossa“ erstmals auf Joe Hendersons Debütalbum „Page One“ aus dem Jahr 1963, das zu den erfolgreichsten Alben des Labels Blue Note Records zählt.
Tierisch!
Tierisch gute Sounds präsentierte auch Lilo Kunkels nächstes Set: Rahsaan Roland Kirks „Serenade to a Cuckoo“ erschien 1964 auf Kirks Album „I Talk with the Spirits“, bereits 1968 coverte die britische Rockband Jethro Tull rund um Frontmann Ian Anderson das fröhliche und kreative Jazzstück für ihr erstes Studioalbum „This Was“.
Einer schlafenden Biene widmete sich der beliebte, balladenartige Song „A Sleepin‘ Bee“ aus dem Musical „House of Flowers“ von Harold Arlen und Truman Capote, in dem Debütantin Diahann Carroll bei der Uraufführung 1954 am Broadway als Ottilie alias Violet sang: „When a bee lies sleepin‘ in the palm of your hand, you‘re bewitched, and deep in love‘s long looked-after land ...“
Die Töne der Nachtigall im Londoner Stadtteil Mayfair besang Lilo Kunkel schließlich mit Manning Sherwins romantischem Lied „A Nightingale Sang in Berkeley Square“ – Sherwin schrieb es 1939 in Le Lavandou an der Côte d’Azur. Gemeinsam mit Eric Maschwitz, der sich für den Liedtext vom Titel einer 1923 publizierten Kurzgeschichte Michael Arlens inspirieren ließ, fand die Uraufführung des Songs in einer Bar des kleinen französischen Fischerdorfs statt.
George Shearings Jazzstandard „Lullaby of Birdland“ ehrte im Anschluss den nach Charlie „Bird“ Parker benannten New Yorker Jazzclub Birdland am 1678 Broadway/Ecke 53rd Street. In einer knappen Viertelstunde komponierte der blinde Pianist 1952 die Erkennungsmelodie des Clubs – vervollkommnet wurde die Hommage mit einem Text von George David Weiss. Und so resümierte Shearing anlässlich seines 80. Geburtstags 1999: „I have been credited with writing 300 songs. 299 enjoyed a bumpy ride from relative obscurity to total oblivion. Here is the other one.“
Tango!
Mit einer Verneigung vor Astor Piazzolla, dem König des Tangos mit der großen Liebe zu Bach, endete Lilo Kunkels SERENADE IN BLUE: In „Jeanne y Paul“, „Romance del Diablo“ und dem weltbekannten „Libertango“ zeigt sich Piazzollas unverkennbarer, innovativer Stil, den der Tanguero erst im Laufe der Zeit entwickelte, auch ermutigt durch ein Kompositionsstudium bei Nadia Boulanger in Paris, die ihn schließlich aufforderte, sich dem Tango zuzuwenden: „Das ist der wahre Piazzolla.“ Und so entstand nach Piazzollas Rückkehr nach Südamerika der Tango Nuevo, der den traditionellen Tango Argentino mit ungewöhnlichen Besetzungen, erweiterten Spielarten und wagemutigen Harmonien in einem neuen Licht erscheinen ließ – wie Lilo Kunkel an diesem blauen Konzertabend die Orgel, das Instrument des Jahres 2021!
Stefanie Petelin
kienvirak/pixabay.com/Pixabay License (Sujetfoto) / Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin (Konzertfotos)