ORGELSOMMER: Elisabeth Zawadkes WATER FEATURES
Bei ihren WATER FEATURES am 20. August 2020 widmete sich die aus München stammende und in Italien lebende Elisabeth Zawadke an der Rudigierorgel im Linzer Mariendom farbenreicher Musik von Sweelinck bis Karg-Elert, von Farnaby bis Eggert, von Byrd bis Vierne, von Bach bis Bovet. In der Rudigierorgel hatte sie die kongeniale Partnerin für ihr stilistisch abwechslungsreiches Programm, wie sie im ORGELSOMMER-Interview vorab angekündigt hatte: „Ich habe die Orgel bis heute als große Persönlichkeit mit einer ausgeprägten Farbigkeit der Register und ihrer Kombinationsmöglichkeiten und einer stilistischen Vielseitigkeit in Erinnerung. […] Ich bin überzeugt, dass auf dieser Orgel all diese Werke wunderbar klingen werden.“
Und Recht hatte sie. Der musikalische Gang durch die Jahrhunderte sorgte für große Begeisterung beim recht jungen ORGELSOMMER-Publikum. Domorganist Wolfgang Kreuzhuber, Obmann des Dommusikvereins Linz, zeigte sich ebenfalls beeindruckt vom brillanten Spiel der Organistin: „Elisabeth Zawadke hat die Qualität des Instruments in ihren WATER FEATURES klanglich perfekt genutzt und mit ihrem facettenreichen Konzert einmal mehr die Wandlungsfähigkeit der Rudigierorgel gezeigt – vom Renaissanceinstrument bis zur symphonischen Orgel. Und jede dieser Stilrichtungen war überzeugend und brillant dargeboten.“
Tänzerisches von Byrd und Farnaby
Eröffnet wurden die WATER FEATURES von Elisabeth Zawadke mit drei Kompositionen aus dem Fitzwilliam Virginal Book, das mit annähernd 300 Kompositionen für das Virginal die umfangreichste historische Sammlung der Cembalo-Musik des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts in England darstellt.
Zunächst erklangen zwei Werke aus der Feder von William Byrd (ca. 1543–1623), einem der wichtigsten Musikschaffenden der Tudorzeit, der auch gerne als „englischer Palestrina“ bezeichnet wurde. Mit Byrds Galiarda musizierte Zawadke einen höfischen Tanz im schnellen Dreiertakt aus dem 15. Jahrhundert. Die Interpretation wurde der etymologischen Bedeutung des Tanzes gerecht: Denn fröhlich, munter (französisch „gaillard“) und kraftvoll (italienisch „gagliardo“) waren die Klänge, die Zawadke von der Orgelempore in den Kirchenraum schickte. Mit La Volta schloss die Organistin einen weiteren Renaissancetanz an, der durch seine lebhaften Bewegungen und Drehungen den Blick auf Beine und Unterrock freigab und im 16. Jahrhundert daher als Skandaltanz galt.
Als drittes Werk aus dem Fitzwilliam Virginal Book musizierte die gebürtige Münchnerin Giles Farnabys (ca. 1563–1640) hübsche Spagnioletta, ebenfalls ein Tanz des 16. Jahrhunderts. Farnaby, über dessen Leben wenig bekannt ist, beschrieb sich selbst einmal als „törichter Spatz, der sich herausnimmt, in Gegenwart der melodischen Nachtigall zu zirpen“. Damit bezog er sich wohl darauf, dass er ursprünglich kein studierter Musiker oder Komponist war, sondern beruflich als Tischler oder wie sein Cousin Nicholas als Virginalbauer arbeitete und in seiner Freizeit in Oxford eine Musikausbildung genoss. Vielleicht ist gerade diese Unbekümmertheit der Grund dafür, dass er sich noch weniger an traditionelle Kontrapunktregeln gebunden fühlte als sein Kollege und Altersgenosse Bull und stilistisch als der originellste Virginalist in die Geschichte einging.
Prägendes von Sweelinck und Bach
An den Rhein entführte Elisabeth Zawadke mit Jan Pieterszoon Sweelincks (1562–1621) Variationen mit dem Titel „Ich fuhr mich vber Rheine (Ick voer al over Rhijn)“. Sweelinck zählt wohl neben Froberger, Bach und Liszt zu den wenigen Tastenspielern, die die Musikgeschichte als Komponist wie als Pädagoge noch Generationen nach ihrem Tod grundlegend geprägt haben. Ungeachtet der englischen, italienischen, niederländischen und spanischen Einflüsse in seinem Tastenwerk steht Sweelinck in der Tradition rheinischer Organisten des 16. Jahrhunderts. Die geregelte Arbeit an einem Ort ermöglichte ihm eine umfangreiche pädagogische Tätigkeit – neben niederländischen Organisten ging auch eine Vielzahl deutscher Organisten in seine Lehre, was ihm bei Musikschriftsteller Johann Mattheson in seiner Biographiesammlung „Grundlage einer Ehrenpforte“ den Ruf eines „hamburgischen Organistenmachers“ eintrug.
In Matthesons Biographiesammlung ist unbegreiflicherweise der Komponist der nächsten zwei Werke nicht verzeichnet, obwohl er diesen kannte und schätzte: Johann Sebastian Bach (1685–1750). Zunächst erklang eines seiner bekanntesten und beliebtesten Stücke: Praeludium und Fuge G-Dur, von Organistinnen und Organisten gerne als „das G-Dur“ bezeichnet. Elisabeth Zawadke überzeugte mit ihrer Interpretation des wohl in Bachs Leipziger Jahren entstandenen Werks mit seiner geschmeidigen, virtuosen, erfindungsreichen, fantasievollen und souveränen Anlage.
Aus den „Achtzehn Chorälen von verschiedener Art“ („Leipziger Choräle“) musizierte die Künstlerin Bachs leise, fast meditative Choralbearbeitung von „An Wasserflüssen Babylon“. Die Sammlung an Choralbearbeitungen für Orgel mit zwei Manualen und Pedal stellte Bach in seinen letzten Lebensjahren für eine Drucklegung zusammen – sie besteht daher aus in ganz unterschiedlichen Lebensabschnitten entstandenen Sätzen. Bach nutzte die Abschrift – wie auch bei anderen Werken – für zahlreiche Detailverbesserungen.
Atmosphärisches von Eggert, Vierne und Karg-Elert
Zeitgenössische Klänge schlugen Moritz Eggerts (*1965) „Drei Interludien (Auf dem Wasser zu singen)“ an. Das Werk wurde im Rahmen der Tiroler Festspiele Erl 2009 beim Innprojekt am Akkordeon uraufgeführt – der Heidelberger Komponist publizierte später eine Fassung für Orgel solo. Selbst beschrieb er das Musikprojekt mit folgenden Worten: „Musik will Wasser sein – sie fließt als Klang in der Zeit. ‚Auf dem Wasser zu singen’ heißt daher: sich selber in Klang verwandeln zu wollen.“
In Klang verwandelten sich auch Louis Viernes (1870–1937) Reiseeindrücke und Stimmungsbilder in seiner Sammlung „Vingt-quatre pièces de fantaisie en quatre suites“, in denen der Franzose, der in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag feiern würde, sein kompositorisches Genie im coloristischen Bereich präsentiert.
Auf „Sur le Rhin“ aus der dritten Suite, das durch leere Klänge weit gespannter, terzloser Harmonien im Sinne einer Fortführung der gotischen Idee Weiträumigkeit suggeriert, folgte „Claire de lune“ aus der zweiten Suite, das sich ausdrucksstark und träumerisch präsentierte und den funkelnden Lichtstrahl des Mondes im Linzer Mariendom musikalisch zum Leuchten brachte.
Stimmungsvoll ging es mit einem Stück aus Sigfrid Karg-Elerts (1877–1933) Zyklus „Seven Pastels from the Lake of Constance“ weiter. Über den impressionistischen Zyklus der musikalischen Landschaftsbilder schrieb Karg-Elert 1923 nicht umsonst: „Das ist mein allerbestes, persönlichstes und inhaltlich wertvollstes Werk.“ Sigfrid Karg-Elert komponierte die sieben Tongemälde während eines Urlaubsaufenthalts mit seiner Familie in Radolfzell am Bodensee im Sommer 1921. Angesichts ihres exotischen und außergewöhnlichen Klangfarbenreichtums erstaunt die Tatsache, dass Karg-Elert die Stücke auf einer kleinen, zweimanualigen Orgel in der evangelischen Kirche des Ortes konzipierte. Das im Konzert interpretierte „Hymn to the Stars“ ist Schlussstück und Höhepunkt der sieben Pastelle – das Finale ist wohl einzigartig: Unter dem Dauerton fis3 entfaltet sich eine Hymne, die einmal durch den Quintenzirkel wandert und schließlich in einem Schlussklang endet, der das Stück zu den Sternen führt.
Sigfrid Karg-Elert (1877–1933): Seven Pastels from the Lake of Constance, op. 96: 7. Hymn to the Stars | Rudigierorgel: Elisabeth Zawadke
Rhythmisches von Bovet
Mit einem Tango aus Guy Bovets (*1942) 1999 entstandener Sammlung „12 Tangos Ecclesiasticos“ beendete Elisabeth Zawadke den offiziellen Teil ihres Konzerts und schloss damit den Bogen zu den aus alter Zeit stammenden Tanzsätzen am Beginn der WATER FEATURES.
Der letzte (und längste) Tango dieser Sammlung erklang im Konzert: „El Tango de los Tangos“. Dieser Tango aller Tangos wurde – wie der polyglotte Komponist Bovet im Vorwort des Stückes verrät – „zu Ehren aller Heiligen“ komponiert und verwendet den besonderen Tango-Rhythmus mit einem Akzent auf der letzten Achtelnote des Viervierteltakts. Bei solch mitreißenden Rhythmen schien so manches Tanzbein im Publikum zu jucken.
Auf den grandiosen Abschluss dieser farbenprächtigen WATER FEATURES folgte begeisterter Applaus und natürlich eine fantastische Zugabe – ebenfalls aus der Feder von Guy Bovet, der „Tango de undecimo tono a modo de Bossanova“, der mit seinem typischen brasilianischen Rhythmus mit der Bossa Nova-Charakteristik das Auditorium zum Swingen brachte …
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin
21. August 2020