ORGELSOMMER: Wolfgang Kreuzhubers VIVA ESPAÑA
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber präsentierte bei seinem Konzert VIVA ESPAÑA am 6. August 2020 ab 20.00 Uhr an der Rudigierorgel im Linzer Mariendom iberische Orgelmusik aus verschiedenen Jahrhunderten. Unbegreiflicherweise zählt die Orgelkunst auf der iberischen Halbinsel im 16. und 17. Jahrhundert heute zu den am wenigsten bekannten Bereichen älterer Musik. Aus diesem gigantischen Repertoire stellte Domorganist Wolfgang Kreuzhuber eine kleine, aber feine Auswahl vor – von Antonio de Cabezón bis Juan Bautista José Cabanilles. Dabei präsentiert Domorganist Kreuzhuber bedeutsame Gattungen für die iberische Orgelmusik dieser Zeit – zum einen das Tiento als Antwort auf das italienische Ricercar, zum anderen die Batalha, ein musikalisches Schlachtengemälde, als Gegenstück zur italienischen Battaglia. Diesen alten iberischen Klängen stellt der Linzer Domorganist improvisatorische spanische Klänge moderner Art gegenüber.
Kreuzhuber, selbst Obmann des Dommusikvereins Linz, dem Veranstalter des ORGELSOMMERs im Mariendom, zeigte sich zufrieden mit dem Konzertbesuch – trotz coronabedingter Reduktion des Städtetourismus nach Linz und trotz aller Hürden und Herausforderungen für kulturelle Veranstaltungen in Zeiten der Corona-Pandemie hatten zahlreiche Gäste den Weg in den Linzer Mariendom gefunden. Unter anderem wurden Jägerstätter-Biographin Erna Putz und Siegfried Adlberger als Orgel- und Glockenreferent der Diözese Linz im Publikum gesichtet.
Antonio de Cabezóns formvollendetes Tiento
Mit Antonio de Cabezóns formvollendetem Tiento del Segundo Tono eröffnete Kreuzhuber die musikalische Reise auf die iberische Halbinsel. Der 1510 in Castrillo Mota de Judíos geborene Cabezón wurde bereits von seinen Zeitgenossen als der bedeutendste iberische Organist des 16. Jahrhunderts für Tasteninstrumente angesehen. Für den von Geburt an blinden Organisten und Clavichordisten an der Hofkapelle in Toledo dürften die mehrjährigen Reisen im königlichen Gefolge in zahlreiche europäische Länder wie Deutschland, England, Italien und die Niederlande von großer Bedeutung gewesen sein – sein Stil wiederum beeinflusste die englische Komponistenschule für das Virginal und den Orgelstil der Niederlande zur Zeit Jan Pieterszoon Sweelincks. In Cabezóns Tientos entstehen durch freie melodische Nachahmung neue Themen. Cabezón, der 1566 in Madrid starb, gilt dabei als Vollender der musikalischen Strömungen seiner Zeit.
Sebastián Aguilera de Heredias außergewöhnliches Pange lingua
Der Linzer Domorganist stellte anschließend mit Sebastián Aguilera de Heredias außergewöhnlichem Stück Pange lingua por ce sol fa ut eine weitere Besonderheit iberischer Orgelmusik vor – eine der zahlreichen Bearbeitungen des Fronleichnamshymnus Pange lingua, die auf einer in Toledo neu geschriebenen Melodie beruhen. Heredia wurde 1561 in Saragossa geboren und begann seine musikalische Karriere 1585 als Organist an der Kathedrale von Huesca. Heute gilt der Komponist als erste große Persönlichkeit der aragonischen Schule mit seinem kulturellen Zentrum Saragossa, was Kreuzhuber mit seiner virtuosen Interpretation des Fronleichnamshymnus musikalisch zum Ausdruck brachte.
Francisco Correa de Arauxos Tiento für geteilte Register
Mit dem beeindruckenden Tiento de medio registro de dos tiples de segundo tono stellte Kreuzhuber den selbst in Kreisen von Organistinnen und Organisten noch immer wenig bekannten Komponisten Francisco Correa de Arauxo vor. Der vermutlich 1584 in Sevilla geborene Arauxo zählt zu den bedeutsamsten Komponisten Andalusiens. Nach mehreren erfolglosen Bewerbungen an spanischen Kathedralen erhielt er 1636 eine Stelle als Organist an der Kathedrale von Jaén. Bereits 1640 folgte eine Berufung als Organist an die Kathedrale von Segovia, wo er 1654 auch starb. Francisco Correa de Arauxos musikhistorische Bedeutung begründet sich vor allem durch seine 1626 in Alcalá de Henares publizierte Orgelschule „Libro de tientos y discursos de musica practica, y theoretica de organo, intitulado Facultad Organica“, die neben 69 Tientos, von denen eine Vielzahl für geteilte Register, einer baulichen Besonderheit spanischer Orgeln, komponiert ist, und Intabulierungen auch detaillierte Hinweise zum Orgelspiel und zur Aufführungspraxis seiner Zeit enthält. Arauxos „Facultad Organica“, aus dem auch das im Konzert musizierte Tiento stammt, gilt daher heute als das wohl wichtigste Kompendium der iberischen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts. Bereits im Vorfeld des Konzerts hatte Kreuzhuber im ORGELSOMMER-Interview seine Faszination für Tientos zum Ausdruck gebracht: „Tientos sind für mich die wunderbare Kombination von höchster kontrapunktischer Meisterschaft und expressiven, harmonischen Wendungen. Eine Komposition für Leib und Seele.“ Und genau das spürte man im Konzert.
Pedro de Araújos eindrucksvolle Batalha
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber präsentierte mit Pedro de Araújos Komposition eine weitere besondere Form iberischer Orgelmusik – die Batalha, ein musikalisches Schlachtengemälde für Orgel und demnach durchaus ein Vorläufer der Programmmusik. Die Form der Batalha wurde von Organisten der iberischen Halbinsel seit dem 17. Jahrhundert besonders gepflegt – durch die Besonderheiten der Instrumente mit ihren geteilten Schleifen und ihren ab dem 18. Jahrhundert auftretenden spanischen Trompeten erfuhren diese naturalistischen Kampfesschilderungen eine enorme klangliche Bereicherung. Die im Konzert musizierte Batalha de 6. tom zählt zu den bekanntesten Werken de Araújos. Sie schildert die Kampfhandlungen in sehr virtuosen Passagen, die schließlich in ein Finale von kräftigen Siegesfanfaren münden, wie die Hörprobe eindrucksvoll beweist:
Pedro de Araújo (ca. 1662–1705): Batalha de 6. tom | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Über Araújos Herkunft existieren gegenwärtig keine gesicherten Aussagen, nachweisbar sind lediglich seine Tätigkeit als Musiklehrer am Seminário de San Pedro im nordportugiesischen Braga zwischen 1662 und 1668 sowie sein Wirken als Organist in Joane, südöstlich von Braga. Pedro de Araújos Werke dürfen als Höhepunkt der portugiesischen Orgelmusik bezeichnet werden – seine Kompositionen enthalten aragonische, italienische und portugiesische Elemente und sind den spanischen Meistern in Bezug auf Qualität und Formenwelt ebenbürtig.
Juan Bautista José Cabanilles zukunftsweisende Tientos
Mit Juan Bautista José Cabanilles‘ Tiento 1° tono Lleno und Tiento de falsas musizierte Wolfgang Kreuzhuber zwei faszinierende Werke aus der Feder des „spanischen Bach“, der 1644 in Algemesí nahe Valencia als Sohn einer einfachen bäuerlichen Familie mallorquinischer Herkunft geboren wurde. 1666 – zwei Jahre vor seiner Weihe zum Priester – ernannte man ihn zum Domorganisten von Valencia. Dieses Amt hatte Cabanilles bis zum Ende seines Lebens im Jahr 1712 inne – in diesen unglaublichen 46 Jahren erwarb er sich bei seinen Zeitgenossen einen besonderen Ruf als Orgelvirtuose und Komponist. Diesen Ruf als zukunftsweisender und virtuoser Komponist bewies das von Kreuzhuber musizierte Tiento eindrucksvoll, das durch kunstvolle Ausführung in polyphoner Ausdrucksweise und einprägsame Akkorde besticht. Sein Tiento de falsas steht formal zur Gänze in der spanischen Tradition, harmonisch verwendet es allerdings zahlreiche Dissonanzen und ungewöhnliche Fortschreitungen, um dramatische musikalische Effekte zu erzielen.
Guy Bovets augenzwinkernde Hommage an Salamanca
Moderne Klänge schlug Domorganist Wolfgang Kreuzhuber mit Guy Bovets „Salamanca“ aus der Sammlung „Trois Préludes Hambourgeois“ an. In seinen Ursprüngen handelt es sich bei dem pfiffigen Werk, das mit seinem Augenzwinkern für große Begeisterung beim Linzer Publikum sorgte, um eine konzertante Improvisation an der Orgel der Kathedrale von Salamanca, die der Komponist selbst 1986 rekonstruiert und nachbearbeitet hat. Bovets Improvisation basiert auf einer salmantinischen Melodie mit dem Namen „La Clara“, die ihm die Kastellane der Kathedrale von Salamanca vorgesungen hatten. Explizit ruft der Schweizer Komponist Guy Bovet in seinen Gedanken zur Komposition die Interpretinnen und Interpreten dazu auf, die drei Stücke spontan im Sinne einer Improvisation zu spielen: „Freiheit, Farbe und Spaß sollen die Aufführungen dieser Musik charakterisieren.“ Dies war in Kreuzhubers Interpretation des Stücks auf beeindruckende Weise zu erleben. Da konnte man die spanischen Gitarrenklänge und die klappernden Kastagnetten geradezu hören!
Wolfgang Kreuzhubers musikalische Impressionen aus Spanien
Mit einer von iberischem Lebensgefühl inspirierten Improvisation in vier Sätzen ließ Domorganist Wolfgang Kreuzhuber die konzertante Reise von Oberösterreich nach Spanien und Portugal prachtvoll ausklingen. Seine musikalischen Impressionen aus Spanien ließen vor dem inneren Auge spanische Kathedralen, maurische Architektur und Menschen voll iberischer Lebensfreude auftauchen. Die Rudigierorgel, die Kreuzhubers musikalischen Weg nun schon viele Jahre begleitet, erwies sich für den leidenschaftlichen Improvisator dabei einmal mehr als inspirierend bei seinen musikalischen Landschaftsbildern Spaniens.
Spanische Lebensfreude und spanisches Lebensgefühl mit Musik nach Linz zu holen – das war Wolfgang Kreuzhubers Wunsch für sein Konzert im Mariendom. Der begeisterte Beifall des Publikums bewies, dass ihm dies gelungen war. In diesem Sinne: ¡VIVA ESPAÑA! Und: ¡Muchas gracias, Señor Kreuzhuber!
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin
7. August 2020