Heitere Orgelmusik im Fasching
Mit heiterer Orgelmusik von Vincenzo Antonio Petrali, Louis James Alfred Lefébure-Wely, Gaetano Valeri und Antoni Diana ertönten im Rahmen des Gottesdienstes am 23. Februar 2020 um 10.00 Uhr zur Faschingszeit passende fröhliche Klänge. Mit der Gottesdienstgemeinde im Mariendom Linz feierte Domkapitular Walter Wimmer.
Zum Einzug musizierte Dommusikassistent Gerhard Raab einen mit „Allegro brillante“ überschriebenen Vers, den ersten der „6 Versetti per il Gloria“ aus Vincenzo Petralis „Messa solenne“.
Nachgeschlagen: Vincenzo Antonio Petrali
Dem aus der italienischen Provinz Cremona stammenden Vincenzo Antonio Petrali (1830–1889) wurde die Musik bereits in die Wiege gelegt, denn er entstammte einer äußerst musikalischen Familie. Während seine Mutter Ortensia Spinelli zur Familie des Komponisten Giovanni Bottesini (1821–1889) gehörte, wirkte sein Vater Giuliano als Organist, Pianist und Komponist in Crema. Nach häuslichem Unterricht in Violine und Orgel konnte Vincenzo bereits als Elfjähriger seinen Vater an der Orgel im Dom vertreten. Selbst wirkte er als Organist an der Chiesa dell'Ospedale und an der Chiesa di San Benedetto in Crema. Ersten Kompositionsunterricht erhielt er von Stefano Pavesi (1779–1850), dem Domkapellmeister von Cremona – in diese Zeit fällt auch Petralis erste Messkomposition (1845). Am Mailänder Konservatorium (heute: Conservatorio Giuseppe Verdi) studierte er 1846 bis 1847 Klavier bei Antonio Angelèri (1801–1880) sowie Komposition bei Placido Mandanici (1799–1852). Im Anschluss daran ging Petrali in seiner Heimatstadt Crema selbst einer Lehrtätigkeit nach. Ab 1849 wirkte er als Organist am Dom von Cremona, ab 1852 auch als Kapellmeister. Auf ein kurzes Intermezzo in seiner Heimatstadt Crema folgte im Jahr 1853 eine Berufung an die Basilica Santa Maria Maggiore in Bergamo. Tourneen führten ihn in dieser Zeit nicht nur in italienische Theater, sondern auch nach Berlin und Wien. 1856 bis 1859 ging er in Brescia einer Tätigkeit als Domkapellmeister nach. 1860 kehrte er nach Crema zurück, wo er zwölf Jahre lang als Domkapellmeister und Leiter der „Banda Nazionale“, der städtischen Blaskapelle, wirkte. In diese Zeit fällt die Entstehung didaktischer Werke – unter anderem steuerte er Notenbeispiele und Musikstücke für Giambattista Castellis 1862 publiziertes Handbuch „Norme generali sul modo di trattare l'organo moderno“ (deutsch: „Allgemeine Regeln zum Spiel auf der modernen Orgel“) oder das dreibändige Lehrwerk „71 Studi per l’organo moderno“ (deutsch: „71 Übungen für die moderne Orgel“) bei. 1868 heiratete Petrali Maria Ottolini, die Tochter des Bürgermeisters von Crema – der Ehe entstammten vier Kinder. Aus gesundheitlichen Gründen zog Petrali 1872 wieder nach Bergamo, wo er erneut an der Basilica Santa Maria Maggiore als Organist tätig und zudem als Lehrer am Liceo Musicale beschäftigt war. 1880 übernahm er nach dem Tod des Amtsvorgängers auch die Stelle des Kapellmeisters an der Basilica Santa Maria Maggiore. Innerhalb kurzer Zeit verlor Petrali seine Mutter, seine Schwester und auch seine Ehefrau, die ihm drei minderjährige Kinder hinterließ. 1882 folgte Petrali schließlich dem Ruf des Liceo Musicale Rossini in Pesaro, wo er bis 1889 Orgel, Klavier, Harmonielehre, Generalbass sowie Banda-Instrumentation unterrichtete. In diese Zeit fällt die Entstehung seiner späten, vorwiegend liturgischen Orgelwerke – unter anderem auch des im Rahmen der ORGEL.LITURGIE erklingenden Parts aus der „Messa solenne“. Ende 1888 machte sich bei Petrali eine Lebererkrankung bemerkbar, sodass er seine Lehrtätigkeit aufgeben musste und nach Bergamo zurückkehrte, wo er 1889 starb.
Zu Lebzeiten galt Petrali als überragender Virtuose und begnadeter Improvisator auf der Orgel. Daneben schätzte man ihn als Pianist, als Interpret auf Streichinstrumenten, aber auch als Dirigent, Chorleiter und Banda-Leiter. Neben Chor- und Vokalwerken zählen auch Bühnenwerke – wie beispielsweise mehrere Opern – zu seinem Œuvre. Außerdem ist er Schöpfer von Orchesterwerken, Kammermusik, Klavier- und Orgelwerken sowie Banda-Musik. Der vielfach ausgezeichnete Musiker galt als bescheiden, großzügig und zurückhaltend, allerdings auch als leicht reizbar.
Der italienische Musikwissenschaftler Michele Bosio benennt Petrali in Anlehnung an den Musikkritiker Filippo Filippi (1830–1887) als den „principe degli organisti“[1].
Vincenzo Antonio Petrali (1832–1889): Versetti per il Gloria: Allegro brillante | Rudigierorgel: Dommusikassistent Gerhard Raab
Die Charakterisierung Petralis als „Prinz unter den Organisten“ schlägt den Bogen zum Komponist des nächsten Werkes, das Gerhard Raab im Rahmen des Gottesdienstes zur Gabenbereitung musizierte, nämlich zu Louis James Alfred Lefébure-Wely. Das interpretierte Offertoire stammt aus Lefébure-Welys Sammlung „Six Morceaux religieux pour l’harmonium“, die dieser mit der Widmung „A son ami F. RENAUD, Ex-Maître de Chapelle de St. Sulpice“[2] überschrieb (gemeint ist Félix Renaud). Diese Miniaturen für den gottesdienstlichen Gebrauch erschienen erstmals im Jahr 1866 bei Renaud in Paris.
Nachgeschaut: Louis James Alfred Lefébure-Wely
Louis James Alfred Lefébure-Wely (1817–1869) wurde in Paris als Sohn des Pianisten und Organisten Antoine Lefébure-Wely (bis zu seiner Namensänderung im Zuge seiner Ernennung zum Organisten an Saint-Roch 1805: Isaac François Lefèbre, 1756–1831) geboren. Der junge Musiker löste seinen Vater als Organist an der Pariser Kirche Saint-Roch offiziell im Jahr 1831 ab, im Alter von acht Jahren soll er aber bereits seinen Vater aber an der Orgel vertreten haben, wie eine handschriftliche Notiz auf einer unveröffentlichten Messe von Antoine Lefébure-Wely verrät: „This Mass was played Easter Tuesday 1826 by my little boy Alfrede, aged eight years and four months, on the organ of Saint-Roch to the satisfaction of everyone present. He retained throughout the Mass an extraordinary presence that surprised the people who were near him at the organ.“[3]
Am renommierten Conservatoire de Paris studierte der junge Louis James Alfred ab 1832 Orgel bei François Benoist (1794–1878) und Klavier bei Pierre Zimmermann (1785–1853). Zu seinen Lehren zählten auch Henri Montan Berton (1767–1844) und Jacques Fromental Halévy (1799–1862) sowie Adolphe Adam und Louis-Nicolas Séjan. Adam charakterisierte den jungen Künstler als „the most skillful artist I know“[4]. 1835 schloss Lefébure-Wely mit ersten Preisen für Orgel und Klavier das Conservatoire de Paris ab. Lefébure-Wely verstand es, auf virtuose Weise die neuen Möglichkeiten der modernen Orgel effektvoll einzusetzen. Sein mondäner Stil, der mitunter volkstümliche Themen oder Elemente aus Salonmusik oder Operette mit der französischen Romantik verband, und seine gefälligen, eingängigen Motive sorgte beim Pariser Bürgerturm für Begeisterung und Popularität, bei Kritikern zur Geringschätzung und Missachtung seines kompositorischen Werkes, das als frivol und unseriös abgetan wurde.
Ab Ende der 1830er-Jahre entwickelte sich eine viele Jahre dauernde freundschaftliche Verbindung mit dem Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll (1811–1899), die sich auch in der gegenseitigen fachlichen Inspiration widerspiegelte. So standen Lefébure-Wely in seiner Laufbahn als Organist auch stets die neuesten Instrumente des bedeutenden Orgelbauers aus Toulouse zur Verfügung, denn nach dem durch Cavaillé-Coll erfolgten Umbau der Orgel in Saint-Roch wirkte er 1847 bis 1857 zunächst als Titularorganist an der 1846 erbauten Cavaillé-Coll-Orgel (58/IV/P) in der Pariser Kirche La Madeleine, bevor er nach der Fertigstellung der größten Orgel aus dem Hause von Aristide Cavaillé-Coll in Saint-Sulpice (1862, 100/V/P) schließlich von 1863 bis zu seinem Tod in der Silvesternacht 1869 als Titularorganist in Saint-Sulpice tätig war. Seine Position an La Madeleine übernahm Camille Saint-Saëns, der Lefébure-Wely so charakterisierte: „Lefébure-Wely was a wonderful improviser […] but he left only a few unimportant compositions for the organ.“[5]. An Saint-Sulpice folgte ihm Charles-Marie Widor nach – zunächst „vorläufig“, daraus sollten allerdings in Folge 64 Jahre werden. Der Organist, Komponist und Improvisator Lefébure-Wely wurde auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise unweit von Frédéric Chopin (1810–1849), bei dessen Beerdigung er dessen Préludes in e-moll und h-moll in einer transkribierten Fassung für Orgel spielte, beigesetzt.
Zur Kommunion erklang von der Rudigierorgel Gaetano Valeris (1760–1822) Sonata IV aus dessen Sammlung „XII Suonate per l’organo“ von 1785, die mit dem Hinweis „opera prima“ versehen ist. Die mit der Tempobezeichnung „Allegro moderato“ überschriebene Sonata IV ist eines von rund 130 Werken für Tasteninstrumente, wovon rund 70 Stücke explizit für die Orgel bestimmt sind.
Nachgelesen: Gaetano Valeri
Gaetano Valeri (auch: Valerj) wurde 1760 in Padua geboren. Zunächst arbeitete er in der Basilica del Carmine sowie an der Chiesa di Sant'Agostino in Padua, bevor er 1785 als Titularorganist an die Basilica Cattedrale di Santa Maria Assunta, die Kathedrale von Padua, berufen wurde. 1805 ernannte man ihn schließlich zum Maestro di cappella, was er bis zu seinem Tod 1822 blieb. Neben dem Komponieren und Musizieren widmete sich Valeri nicht nur intensiv der Malerei, sondern ging auch einer nicht unbeträchtlichen Lehrtätigkeit nach.
In Valeris umfangreichem Œuvre nehmen die einsätzigen Sonaten – wie die im Rahmen der ORGEL.LITURGIE musizierte – großen Raum ein. Valeris Musik ist gekennzeichnet durch eine Verbindung formaler Aspekte der Wiener Klassik mit der Ornamentik des galanten Stils. Er gilt mit seinem melodiebetonten, geordneten Stil daher als typischer Vertreter der venezianischen Musik („scuola tastieristica di matrice veneta“[6]). Über Valeri schreibt Organist Paolo Bottini, der für die erste Gesamtaufnahme des facettenreichen Orgelwerks Valeris verantwortlich zeichnet: „Un compositore classico, ma non troppo!“[7]
Gaetano Valeri (1760–1822): Sonata IV, op.1 | Rudigierorgel: Dommusikassistent Gerhard Raab
Zum Auszug interpretierte Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel Antonio Dianas Polonese N°3 aus dessen 1862 bei Ricordi in Mailand erschienener Sammlung „Raccolta di Composizioni per Organo d'ogni genere, divisa in tre parti: Parte II. Organo moderno“.
Nachgeforscht: Antonio Diana
Beim Namen Antonio Diana handelt es sich – so wird gemutmaßt – um ein Pseudonym, denn es existieren keine Hinweise auf einen Komponisten namens Diana in Mailand. Außer dem Namen, den bei Ricordi verlegten Noten und dem Publikationsjahr 1862 gibt es keine gesicherten Informationen. Dass zum einen der Musikverlag Ricordi untrennbar mit der Entwicklung der italienischen Musik und Namen wie Bellini, Donizetti, Puccini, Rossini und Verdi verknüpft ist und die Kompositionen Dianas zum anderen eine Vielzahl an Parallelen zur Musik Verdis aufweisen, legt für manche Interpretinnen und Interpreten der Musik Dianas nahe, dass es sich tatsächlich um ein Pseudonym – zum Beispiel Verdis – handeln könnte. Aber dabei handelt es sich um Spekulation – der Komponist Diana bleibt bis auf Weiteres ein Rätsel.
Bei so fröhlicher Musik mit überraschenden Effekten und majestätischen Klängen konnte sich auch die feiernde Gemeinde im Linzer Mariendom nicht zurückhalten und spendete Dommusikassistent Gerhard Raab an der Rudigierorgel am Ende des Gottesdienstes begeisterten Beifall für sein faschingshaft-heiteres Programm im Rahmen der ORGEL.LITURGIE.
Anmerkungen:
[1] Bosio, Michele: Vincenzo Antonio Petrali (1830–1889). „Il principe degli organisti“. URL: www.vincenzopetrali.it [Stand: 02/2020]
[2] Zit. nach: Depenheuer, Otto (Hrsg.) (2001): Louis James Alfred Lefébure-Wely. Orgelwerke. Bonn: Musikverlag Dr. J. Butz. S. 3.
[3] Zit. nach: Szostak, Michał: Louis-James-Alfred Lefébure-Wély. A sesquicentenary assessment. In: The Organ, No. 388 (Frühjahr 2019). S. 7. Vgl. dazu auch: Smith, Rollin: Lefébure-Wély: „Prince of Organists“. In: The American Organist, Vol. 46, No. 6 (2012).
[4] Ochse, Orpha (2001): Organists and organ playing in nineteeth-century France and Belgium. Bloomington: Indiana University Press. S. 49.
[5] Ebd. S. 51.
[6] Zit. nach: Bottini, Paolo (o.A.): Gaetano Valerj. URL: www.gaetanovaleri.it [Stand: 02/2020]. Vgl. Zanetti, Roberto (1978): La musica italiana del Settecento. Band 3. Busto Arsizio: Bramante. S. 1093–1153.
[7] Bottini, Paolo (o.A.): Gaetano Valerj. URL: www.gaetanovaleri.it [Stand: 02/2020].
Stefanie Petelin
Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin