Orgelmusik für Groß und Klein im „Weinmonat“
Am 20. Oktober 2019 stand im Linzer Mariendom wieder eine Orgelmesse auf dem musikalischen Programm – dieses Mal mit Domorganist Wolfgang Kreuzhuber an der ihr 50-Jahr-Jubiläum feiernden Rudigierorgel. Mit der Gemeinde feierte Domkapitular Walter Wimmer, der im Rahmen des Gottesdienstes auch für sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum dankte.
Gottlieb Muffat – Kaiserin Maria Theresias Lehrer
Domorganist Wolfgang Kreuzhuber eröffnete die ORGEL.LITURGIE beim Einzug mit Gottlieb Muffats (1690–1770) Toccata XV in a. Gottlieb Muffat wurde in Passau als Sohn des Komponisten Georg Muffat geboren. Vermutlich erhielt er auch bei seinem Vater seinen ersten Musikunterricht. Nach dessen Tod übersiedelte er nach Wien zu seinen Brüdern; sein Bruder Franz Georg Muffat war dort als Kammermusiker in der Hofkapelle tätig. Er selbst wurde 1711 zunächst Hofscholar, also ein Schüler der Hofkapelle, und studierte nach eigener Aussage „Schlag-Kunst“[1] und Komposition bei Johann Joseph Fux. Ab 1717 wirkte er bei Kaiser Karl VI. als kaiserlicher Hof- und Kammerorganist und erteilte den Kindern der kaiserlichen Familie – unter anderem auch der späteren Kaiserin Maria Theresia – Musikunterricht. Gottlieb Muffat wurde 1729 zum zweiten Organisten am Hof, 1741 zum ersten Organisten am Hof und zum Organisten in Diensten der Kaiserinwitwe Amalia bestellt. 1764 ging er mit einer großzügigen Jahrespension in den Ruhestand und starb schließlich 1770 im Alter von achtzig Jahren in Wien. Muffats Werk besteht – wie jenes seines Vorgängers Froberger – zum großen Teil aus Kompositionen für Orgel und Cembalo, darunter zahlreiche Toccaten und Fugen. Er beschäftigte sich nachweislich mit den Werken europäischer Meister wie Bach, Couperin, Frescobaldi, Froberger, Kerll oder Poglietti. Vorbild für ihn war auch der „Apparatus musico-organisticus“ (1690) seines Vaters, den er selbst ein drittes Mal auflegte. Muffats Stil lässt sich als konservativ und streng beschreiben, Einfachheit und Klarheit des melodischen Verlaufs bevorzugend. Die von Wolfgang Kreuzhuber virtuos interpretierte Toccata XV ist in einer Abschrift aus der Zeit um 1730 erhalten und besticht durch viel Laufwerk.
Leopold Mozart – mit einer Komposition für den „Weinmonat“
Zur Gabenbereitung musizierte Kreuzhuber Leopold Mozarts (1719–1787) liebliches Menueto „Für den Weinmonat“ (also den Oktober) aus der kleinen Komposition „Der Morgen und der Abend – Zwölf Musikstücke für das Clavier“, die Mozart 1759 gemeinsam mit Johann Erbst Eberlin herausgegeben hatte. Die Komposition im galanten Stil wurde von Eberlin und Mozart für das Hornwerk Salzburger Stier (erbaut von Fürsterzbischof Leonhard von Keutschach im Jahr 1502), eine mechanische Orgel nach dem Prinzip eines Drehorgel-Walzenwerks auf der Festung Hohensalzburg geschaffen. 1753 wurde das Hornwerk von Johann Rochus Egedacher erneuert – dies nahmen die befreundeten Komponisten zum Anlass, um wenige Jahre später ein Gemeinschaftswerk herauszugeben. Mozart vermerkte dazu im Vorwort: „Es sind dieselben eben jene Musikstücke, mit denen man das sonst nur einzelne Stück des im Schloß Hohensalzburg sich befindenden Hornwerkes eben zu der Zeit vermehret hat, als auf Hochdero rühmliche Anordnung, das ganze Hornwerk, jenes schöne Keutschachische Andenken! wieder neu umgearbeitet und zum Vergnügen der ganzen Stadt und Gegend in bessern Stand ist gesetzet worden.“[2] Die äußerst gefällige Komposition besteht aus zwölf kurzen Sätzen, die den einzelnen Monaten – vom „Jenner“ bis zum „Christmonat“ – zugeordnet sind. Im Gottesdienst mit galanter Orgelmusik für zwei Orgeln im Rahmen der ORGEL.LITURGIE erklang am 19. Mai 2019 bereits das Werk „für den May“, ein Menueto Pastorello von Leopold Mozart, der in wenigen Wochen – am 14. November seinen 300. Geburtstag feiert.
Johann Ludwig Krebs – „der einzige Krebs in meinem Bache“
Während der Kommunion erklang die Sonata II G-Dur, Krebs-WV 833, aus der Feder des Bach-Schülers Johann Ludwig Krebs (1713–1780). Krebs wurde Mitte Oktober 1713 als ältester Sohn von Johann Tobias Krebs, ab 1710 Kantor und Organist von Weimar und Bach-Schüler in dessen Weimarer Zeit, in Buttelstedt nahe Weimar geboren. Von seinem Vater erhielt Krebs wohl auch seine grundlegende musikalische Ausbildung. Nach dem Tod der Mutter zog die Familie nach Buttstädt, wo Krebs‘ Vater als Organist wirkte. Johann Ludwig Krebs wurde 1726 Schüler an der berühmten Thomasschule in Leipzig, wo er neun Jahre lang Privatschüler und Notenkopist von Kantor Johann Sebastian Bach war: „Das hervorragendste musikalische Talent aber besaß Johann Ludwig […]. […] Das Verhältniß Bachs zu diesem Lieblingsschüler war ein besonders vertrautes. Er bewunderte seine musikalischen Leistungen und schätzte seine gelehrten Kenntnisse. Scherzend soll er gesagt haben: ‚Das ist der einzige Krebs in meinem Bache‘. […] Unzweifelhaft war er als Orgelkünstler Bachs würdigster Schüler, und einer der größten, welche überhaupt nach Bach gelebt haben. An Spielfertigkeit mochte ihn Vogler erreichen, als Componist steht er tief unter ihm.“ [3]
Mehrere Quellen betonen nicht nur Krebs‘ exzellentes Orgelspiel, sondern auch seine Begabung als Komponist, zum Beispiel Bach-Biograph Johann Nikolaus Forkel zählt neben Homilius oder Altnikol Krebs als „merkwürdig gewordenen Bachischen Schüler“[4]: „Er war nicht nur ein sehr guter Orgelspieler, sondern auch ein fruchtbarer Componist für Orgel, Clavier und Kirchenmusik. Er hatte Gelegenheit, Bachs Unterricht 9 Jahre lang zu genießen. Zur Bezeichnung seiner Vortrefflichkeit sagten zu seiner Zeit die witzigen Kunstliebhaber: es sey in einem Bach nur ein Krebs gefangen worden.“[5]
Nach Beendigung der Ausbildung an der Thomasschule, als Bach ihm ein ausgezeichnetes Zeugnis und Empfehlungsschreiben ausstellte, studierte Krebs noch zwei Jahre lang Philosophie an der Universität Leipzig. 1737 wurde Krebs Organist an St. Marien in Zwickau, auch „Zwickauer Dom“ genannt, wo er auf einer in denkbar schlechtem Zustand befindlichen Zschugh-Orgel seinen Dienst versah und sich daher um einen Orgelneubau durch Gottfried Silbermann bemühte – leider erfolglos.
Organist Gottfried Linke würdigte Krebs aufgrund seines Talents als „Bachische Creatur“[6]. 1740 heiratete Krebs Johanna Sophie Nacke, die älteste Tochter eines Steuereinnehmers, mit der er sieben Kinder hatte. 1742 bewarb sich Krebs um die Stelle als Organist an der 1736 fertiggestellten Silbermann-Orgel der Dresdner Frauenkirche, lehnte die erhaltene Zusage – vermutlich aus finanziellen Gründen – jedoch ab. 1744 wechselte Krebs schließlich als Schlossorganist ans Schloss Zeitz im südlichen Sachsen-Anhalt. Vergeblich bewarb sich Krebs um die Stellen als Thomaskantor (in Nachfolge Johann Sebastian Bachs) an der Thomaskirche Leipzig und als Organist an der Silbermann-Orgel in der St. Johannis-Kirche in Zittau. Ab 1756 bis zu seinem Tod am Neujahrstag 1780 war Krebs Hoforganist am Hofe Friedrichs III. von Sachsen-Gotha-Altenburg und musizierte in der Schlosskirche Altenburg auf der Trost-Orgel von 1739.
Krebs‘ Werke – über 200 sind wohl erhalten – wurden zum Teil erst im 20. Jahrhundert wiederaufgelegt. Zu seinen bekanntesten Kompositionen zählen seine Werke für Orgel, er schuf aber auch zahlreiche Vokal- und Instrumentalwerke. Teile seines Œuvres wurden in der Vergangenheit oft fälschlicherweise Johann Sebastian Bach zugerechnet. Krebs besticht durch einen eigenen Stil, der spätbarocke Elemente mit Elementen des empfindsamen Stils auf vielfältige Weise verbindet. In seiner einzigartigen Originalität ist er dem Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel verwandt.
Christian Gotthilf Tag (1735–1811): Orgelsinfonie zum Ausgang in C | Rudigierorgel: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber
Christian Gotthilf Tag – mit einer „Orgelsinfonie zum Ausgang“
Zum Auszug interpretierte Domorganist Kreuzhuber Christian Gotthilf Tags (1735–1811) „Orgelsinfonie zum Ausgang in C“ aus dessen Sammlung „Zwölf kurze Orgelvorspiele nebst einer Orgelsinfonie“. Tag wurde im April 1735 als Sohn des Beierfelder Lehrers und Kantors Christian Gottlob Tag geboren. Nach dem Schulbesuch in seinem erzgebirgischen Heimatdorf besuchte Tag die Kreuzschule in Dresden, wo er als Alumnus und Chorsänger bei Gottfried August Homilius seine musikalische Ausbildung erhielt – von seiner Aufnahme als Freischüler (Stipendiat) in die berühmte Dresdner Schule berichtet er selbst gegenüber dem Musikschriftsteller Rochlitz:
„‚Hernach ging ich zum Herrn Cantor. Das war der berühmte Homilius. Ich sagt‘ ihnen Beiden, was zu sagen war; und damit, meynt‘ ich, wär’s gethan: der Alumnus wäre fertig und dürfte nur einziehn. Schöttgen schüttelte den Kopf, Homilius lachte: aber ich mißfiel Beiden nicht; das sah‘ ich wohl. Ich war auch wirklich ein hübscher, treuherziger Junge; und daß mir’s am Herzen lag, 'was Rechts zu lernen: das merkten sie mir wohl auch ab. Sie prüften mich. Beim Rector ging’s nun so so: aber der Cantor war außerordentlich mit mir zufrieden. Ueber meine Kenntniß und Fertigkeit im Generalbaß war er sogar verwundert.‘
‚Bekamen Sie denn wirklich eine Freistelle? ‘
‚Ja; nicht lange darauf. Die beiden herrlichen Männer schafften Rath: Gott gebe ihnen noch heute dafür einen guten Tag in der Ewigkeit! Nun war ich geborgen. Einen glückseligern Jungen, als mich, da ich nur erst die Schalaune umhatte, gab’s auf der weiten Welt nicht. […] Aber wie soll ich Ihnen schildern, was damals für Musik in Dresden war; was für Eindruck sie auf mich machte; wie es mich trieb und hetzte Tag und Nacht, weiter zu kommen‘“[7]
Mit zwanzig Jahren wollte Tag nach Leipzig, seine erste Etappe führte bis ins sächsische Hohenstein – und schon nahm er dort 1755 eine Kantorenstelle an, die er bis 1808 innehatte. Auch wenn er im Laufe der Jahre mehrere berufliche Angebote bekommen hatte, er lehnte alle ab. 1807 starb Tags Frau, was er nicht verwinden konnte, sodass er 1808 sein Amt niederlegte und aus Trauer zu seiner mit einem Pfarrer verheirateten Tochter nach Niederzwölnitz im Kreis Zwickau zog, wo er im Juli 1811 starb. Tag ging als tüchtiger Organist, Orgelsachverständiger und Kantor in die Musikgeschichte ein. Geistliche Kompositionen bilden dabei einen wesentlichen Schwerpunkt seines Schaffens, insbesondere Kantaten voll tonmalerischer und tonsymbolischer Elemente, die er in erster Linie für seine Hohensteiner Kantorei schuf, nachdem er dort keine Kompositionen vorgefunden hatte: „‚Ich machte sie selber: jede Woche wenigstens eine Cantate.‘“[8]
Die im Rahmen der ORGEL.LITURGIE aufgeführte Komposition Tags lässt sich als pompös und klangvoll beschreiben: Tag versuchte mit seiner „Orgelsinfonie zum Ausgang“, die Orgel in Deutschland schon leicht orchestral zu sehen und arbeitete daher orchestrale Effekte in sein Werk ein. Welch gelungener Abschluss der ORGEL.LITURGIE!
Anmerkungen:
[1] Hintermaier, Ernst (1997): Muffat, Gottlieb. In: Neue Deutsche Biographie 18. S. 567f. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119149397.html#ndbcontent [Stand: 10/2019]
[2] Mozart, Leopold (1759): Der Morgen und der Abend. Den Innwohnern der Hochfürstl. Residenz=Stadt Salzburg melodisch und harmonisch angekündigt. Oder: Zwölf Musikstücke für das Clavier, deren eines täglich in der Vestung Hohensalzburg auf dem sogenannten Hornwerke Morgens und Abends gespielet wird; auf Verlangen vieler Liebhaber, sammt einer kurzen Geschichte von dem Ursprunge der Vestung Hohensalzburg, herausgegeben von Leopold Mozart, Hochfürstl. Salzburgischen Cammermusikus. Augsburg: Verlag Johann Jacob Lotters Seel. Erben. o. P.
[3] Spitta, Philip (1880): Johann Sebastian Bach. Band 2. Leipzig: Breitkopf & Härtel. S. 720f.
[4] Forkel, Johann Nikolaus (1802): Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig: Hoffmeister und Kühnel. S. 41.
[6] Voigt, Johann Carl (1742): Gespräch von der Musik zwischen einem Organisten und Adjuvanten, darinnen nicht nur von verschiedenen Mißbräuchen, so bey der Musik eingerissen, gehandelt, Sondern auch eines und das andere beym Clavier- und Orgel-Spielen angemerket ist. Erfurt: Jungnicol. S. 103.
[7] Rochlitz, Friedrich (1830): Für Freunde der Tonkunst. Band 3. Leipzig: Carl Cnobloch. S. 147f.
[8] Ebd. S. 153.
Stefanie Petelin
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