Theresa Zöpfl in BACHS GARTEN
Mit Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Choralbearbeitung „Komm Gott Schöpfer, heiliger Geist“, BWV 667, aus den „Achtzehn Chorälen von verschiedener Art“ (auch „Leipziger Choräle“ genannt) eröffnete die Organistin Theresa Zöpfl ihre MUSIK AM MITTAG.
Die Sammlung an Choralbearbeitungen für Orgel mit zwei Manualen und Pedal stellte Bach in seinen letzten Lebensjahren für eine Drucklegung zusammen – sie besteht daher aus in unterschiedlichen Lebensabschnitten entstandenen Sätzen. Bach nutzte die Abschrift – wie auch bei anderen Werken – für zahlreiche Detailverbesserungen – so ist auch bei Albert Schweitzer nachzulesen: „Sie enthält zum größten Teil Kompositionen aus der Weimar-Cöthenschen Zeit, die Bach am Ende seines Lebens revidierte und zum Teil überarbeitete“[1]. Aufgrund seines Augenleidens wurde Bachs zu Beginn klare, sichere Schrift im Manuskript zunehmend zittriger. Die letzten drei Sätze – darunter auch der von Theresa Zöpfl musizierte Satz – wurde schließlich von Bachs Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol nach Diktat notiert, wie auch die dem Notentext vorangestellte Nachricht in Bachs „Die Kunst der Fuge“ verrät, dass „der selige Mann in seiner Blindheit einem seiner Freunde aus dem Stegereif in die Feder dictirert hat“[2]. Die auf dem Luther-Choral „Komm Gott Schöpfer, heiliger Geist“ basierende Choralbearbeitung geht bereits zurück auf Bachs Choralvorspiel (BWV 631) aus dem Orgelbüchlein, das er übernahm und erweiterte – während bei der Fassung im Orgelbüchlein der Cantus firmus in der Oberstimme zu finden ist, entdeckt man in der Leipziger Fassung den Cantus firmus auch im Pedal.
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Komm Gott Schöpfer, heiliger Geist, BWV 667 | Rudigierorgel: Theresa Zöpfl
Bach war für den Komponisten des folgenden Werkes „der größte von allen“[3]. Jehan Alain (1911–1940). Die Chaconne „Le jardin suspendu“, JA 71, entstand im Oktober 1934. Überschrieben hatte er sein Werk mit den Worten: „Le Jardin suspendu, c’est l’idéal perpétuellemennt poursuivi et fugitif de l’artiste, c’est le refuge inaccessibile et inviolable.“ (Übersetzung: „Der hängende Garten ist das ewig verfolgte, doch flüchtige Ideal des Künstlers, die unzugängliche und unantastbare Zuflucht.“) Offenbar zählte dieses Werk zu Alains am meisten geschätzten Stücken – er beschrieb die musikalische Stimmung des Werks als „Land der Heiterkeit und des Friedens, als unermessliches, wunderbares, unbeschreibbares und – wie der ewige Schnee – unveränderliches Land“ (Original: „le pays de serenite et de paix complete, un pays immense et merveilleux, innombrable, immuable comme la neige etemelle.“) [4] Bei dem geheimnisvoll-exotischen „Le jardin suspendu“ handelt es sich um eines von Alains herausragenden Orgelwerken, ein „Kunststück interkultureller Fingerfertigkeit“ (Original: „a feat of cross-cultural legerdemain“) [5], das einerseits auf einer europäischen musikalischen Struktur aus dem Barock aufbaut, andererseits träumerische Bezüge zu den hängenden Gärten der Semiramis in Babylon und den Märchen aus 1001 Nacht mit Exotismen in Harmonik, Melodik und Ornamentik herstellt.
Alain wuchs in einem für seine musikalische Entwicklung prägenden familiären Umfeld auf, ähnlich dem Hause Bach – sein Vater Albert (1880–1971) war Organist, Komponist und Orgelbauer und hatte bei Guilmant und Vierne studiert. Auch Alains jüngere Geschwister Marie-Odile (1914–1937), Olivier (1918–1994) und Marie-Claire (1926–2013) schlugen später eine musikalische Laufbahn ein. Nicht umsonst schrieb Jehan Alain in einem Brief: „Half of my head always thinks about music.“ (Übersetzung: „die Hälfte meines Kopfes denkt immer an Musik“)[6] Nach seiner Heirat 1935 mit Madeleine Payan (1912–1975) und dem Antritt einer Organistenstelle an St. Nicolas in Maisons-Laffitte wurde Alain 1939 zum Kriegsdienst einberufen und fiel mit 29 Jahren zwei Tage vor dem Waffenstillstand in Compiègne in einem Gefecht bei Saumur – seine Musik macht ihn jedoch bis heute lebendig. Bereits 1935 hatte Alain geschrieben: „Wenn Ihnen meine Musik gefällt, wenn sie so zu Ihnen spricht, dass Sie das Gleiche vor Augen haben, dann geht ein Traum von mir in Erfüllung.“[7] Mit ihrer Interpretation von „Le jardin suspendu“ hat Theresa Zöpfl ihm sicher diesen Traum erfüllt ...
Zöpfl beschloss ihre MUSIK AM MITTAG mit Johann Sebastian Bachs Toccata, Adagio und Fuge C-Dur, BWV 564, einem besonderen Werk im Œuvre des großen Meisters, da dieser zwischen Toccata und Fuge noch einen obligatorischen langsamen Satz (Adagio) einschob. Bach präsentiert sich mit dem Werk einerseits noch dem norddeutschen Stil verpflichtet, andere Details des Werks weisen aber bereits Einflüsse des konzertanten italienischen Stils auf. Entstanden ist das hochvirtuose Werk vermutlich 1708 während Bachs Zeit als Hoforganist in Weimar. Virtuosität in Manual und Pedal sind in der Toccata gefragt, lyrische Passagen kennzeichnen das Adagio, brisant-intensiv präsentiert sich die Fuge – damit ist die „TAF“, wie sie unter Organistinnen und Organisten liebevoll genannt wird, eine Möglichkeit für Interpretierende, die gesamte Bandbreite an musikalischen Fähigkeiten zu präsentieren. Dabei hat Theresa Zöpfl an der Rudigierorgel auf jeden Fall überzeugt und wurde mit lautstarkem Applaus für Ihre MUSIK AM MITTAG unter dem Motto BACHS GARTEN belohnt.
Anmerkungen:
[1] Schweitzer, Albert (1977 [1908]): Johann Sebastian Bach. Mit Vorrede von Charles-Marie Widor. Leipzig: Breitkopf & Härtel. S. 257f.
[2] o.A. (o.A.): Nachricht. In: Bach, Carl Philipp Emanuel (Hrsg.) (o.A. [um 1751]): Die Kunst der Fuge durch Johann Sebastian Bach ehemaligen Capellmeister und Musikdirector zu Leipzig“. o.A.: o.A. o.P.
[3] Alain, Jehan (o.A.): o.A. Zit. nach: Decourt, Aurélie (2012): Jehan Alain: His Life and Works. In: The Diapason (Juli 2012). Arlington Heights, Illinois: Scranton Gilette Communications. S. 22–25. S. 23.
[4] Alain, Jehan (o.A.): o.A. Zit nach: Schauerte, Helga (1990): Vorwort zur CD „Jehan Alain. Das Orgelwerk / L’Oeuvre d’Orgue / The Organ Works Vol. 1“. Düsseldorf: Motette.S. 9 bzw. 19.
[5] Reel, James (o.A.): Jehan Alain. Le jardin suspendu, for organ, JA 71 (AWV 63). URL: https://www.allmusic.com/composition/le-jardin-suspendu-for-organ-ja-71-awv-63-mc0002368948 (Stand: 08/2019)
[6] Alain, Jehan (o.A.): o.A. Zit. nach: Decourt, Aurélie (2012): Jehan Alain: His Life and Works. In: The Diapason (Juli 2012). Arlington Heights, Illinois: Scranton Gilette Communications. S. 22–25. S. 22.
[7] Alain, Jehan (o.A.): o.A. Zit. nach: Flierl, Axel (2005): Buchbesprechung zu Aurélie Decourts „Jehan Alain – Biographie, Correspondance, Dessins, Essais“. In: organ – Journal für die Orgel (03/2005). Mainz: SCHOTT MUSIC. S. 58.
Stefanie Petelin
Gellinger/pixabay.com/CC0 1.0, Dommusikverein Linz/Stefanie Petelin