PLANUNG DER RUDIGIERORGEL
1958 bis 1963
1958 bis 1963
Das Jahr 1958 erwies sich für den Bau der Rudigierorgel als entscheidend. In der Dompfarre existierte seit 1924 der Verein zur Erhaltung der Instrumentalmusik am Maria-Empfängnisdom, der aufgrund veränderter Gegebenheiten und Rahmenbedingungen nun keinen Tätigkeitsbereich mehr hatte. Der Obmann war zurückgetreten und sein Stellvertreter bat den umtriebigen Dompfarrer Josef Ledl eine Generalversammlung einzuberufen, um entweder die Auflösung des Vereins oder einen neuen Fokus des Tätigkeitsfeldes zu beschließen.
Am 21. November 1958 wurde so der Verein umbenannt und die Statuten geändert. Ledl, als neuer Obmann des in Dommusikverein Linz umbenannten Vereins, präsentierte der Generalversammlung nämlich „[…] ein großes Ziel, das mit Begeisterung begrüßt wurde“ .
Im Protokoll dieser für die Errichtung der Rudigierorgel entscheidenden Sitzung des Dommusikvereins Linz im Pfarrhof der Linzer Dompfarre ist zu diesem großen Ziel vermerkt:
„Am 1. Mai 1962 feiert unser Dom das 100jährige Jubiläum der Grundsteinlegung.
Zu diesem Anlaß will der Verein unserem Dom eine repräsentative Domorgel als Jubiläumsgabe überreichen.
So wie der Dom selbst durch ungezählte kleine und große Opfer der gesamten Bevölkerung der Diözese auferbaut werden konnte, will der Verein an alle Oberösterreicher herantreten und Interesse wecken, ihrer Bischofskirche diese würdige große Orgel verschaffen zu helfen.“
Dompfarrer Josef Ledl. © Diözesanarchiv Linz
Sogleich ging der Verein an die Arbeit – der neue Dommusikvereinsobmann Dompfarrer Josef Ledl vermerkt dazu 1958 in der Pfarrchronik der Dompfarre:
„Es ist zu erwarten, daß es dem neu konstituierten Verein gelingen wird, diese gesteckten Ziele zu erreichen und im Jahr 1962 dem Dom die Orgel widmen kann (für die der Name: Rudigier-Orgel vorgeschlagen wird).
Die erste Arbeit: Artikel in der Presse, Anschreiben aller Priester der Diözese; Sachverständigen-Komitee [sic!], und Herausgabe von Bittschreiben um eine Hilfe. Anfangs [sic!] Mai nächsten Jahres soll der Bau vergeben werden, da mit einer Bauzeit von 3 Jahren gerechnet werden muß. Der Obmann stellte das Ziel unter den Schutz der hl. Zäzilia.“
Die Brüder Hermann (1914–1994) und Joseph Kronsteiner (1910–1998, Domkapellmeister von Linz) entwarfen im Auftrag des Dommusikvereins-Obmannes Dompfarrer Josef Ledl ein Konzept für eine große Domorgel mit 150 klingenden Registern. An eine mechanische Traktur war zunächst nicht gedacht – dieses Umdenken in der Konzeption erfolgte erst später.
Am 23. Januar 1959 richtete Domkapellmeister Joseph Kronsteiner im Einvernehmen mit Dompfarrer Ledl ein Schreiben hinsichtlich der Errichtung einer großen Orgel im Mariendom und der Einladung zu einer Orgelsitzung nach Linz an Egon Krauss (1905–1985), den Orgelsachverständigen des Bundesdenkmalamtes.
Für die Konzeption eines qualitätsvollen Instrumentes lag es auf der Hand, Krauss' Expertise einzuholen, war er doch als „gründlicher Kenner nicht nur des historischen Orgelbestandes Europas, sondern auch der neuen Werke der bedeutendsten internationalen Orgelbauwerkstätten“ bekannt.
Krauss kam der Einladung nach Linz gerne nach. Sein Vortrag vom 27. Februar 1959 hinterließ deutliche Spuren. Sowohl seine gute Kenntnis des internationalen Orgelbaues als auch seine engen Kontakte nach Dänemark und in die Niederlande fanden großen Anklang. Mit starker Durchschlagskraft gelang es ihm, die Verantwortlichen in Linz von einem qualitätsvollen Orgelneubau im Mariendom zu überzeugen. So wurde er mit der Konzeption des Orgelprojekts betraut.
Bereits im März 1959 brachen die Gebrüder Kronsteiner zu einer Studienfahrt nach Deutschland und in die Niederlande auf. Orgeln der Städte Bonn, Köln, Limburg an der Lahn, Stuttgart und Ulm sowie Den Helder, 's-Hertogenbosch, Loenen aan de Vecht, Rotterdam, Utrecht und Zwolle wurden eingehend studiert.
Bonn
Köln
Limburg an der Lahn
Stuttgart
Ulm
Den Helder
's-Hertogenbosch
Loenen aan de Vecht
Rotterdam
Utrecht
Zwolle
Hans Haselböck (*1928), neben Krauss der tatkräftigste Berater für das Linzer Orgelprojekt, vermerkt dazu:
„In der Reihe der ausgewählten Orgeln machte das eben erst fertiggewordene Instrument der Nicolaikirche von Utrecht auf die beiden Linzer Kirchenmusiker ihrem Bericht zufolge einen ‚überwältigenden Eindruck‘.“
Die Marcussen-Orgel in der Nicolaïkerk in Utrecht (Marcussen & Søn, 1957, 33/III/P) kann so einerseits klanglich und konzeptionell als Vorbild für die Linzer Rudigierorgel gesehen werden, andererseits wurden diese Eindrücke später auch entscheidend für die Vergabe des Orgelneubaus an Marcussen & Søn.
Der Vortrag von Egon Krauss sowie die Orgelstudienreise bewirkten ein Umdenken der Gebrüder Kronsteiner – nicht Quantität, sondern Qualität sollte für die neue Orgel im Mariendom angestrebt werden. Und so fasste im September 1959 auch der damalige Domvikar Wilhelm Zauner (1929–2015) in einem Brief an Krauss die Geschehnisse zusammen:
„Ich schrieb darauf meinem Freund Gerhard Holzner nach Frankfurt, der aus Linz stammt und dort als bekannter Organist tätig war.
Sein Antwortschreiben verlas ich in der nächsten Sitzung des Dommusikvereins. Holzner mahnte eindringlich, eine mechanische Traktur zu wählen, außerdem wies er darauf hin, daß eine Orgel mit 150 Registern nicht erstrebenswert sei. Man könnte mit 50 bis 70 Registern das Auslangen finden.
Die Gebrüder Kronsteiner schlossen sich dieser Meinung nicht an. Es kam zu einem Streitgespräch, an dem sich nur wenige beteiligten, da kaum jemand fachkundig war. Es wurde darauf beschlossen, ein Fachgutachten einzuholen und dieser Beschluß war wohl die Ursache des ersten Briefes Prof. Kronsteiners an Sie. Die weitere Entwicklung haben Sie ja selbst miterlebt: Den totalen Umschwung der Gebrüder Kronsteiner und das klare Eintreten für eine mechanische Orgel.“
Obwohl das Jahr 1962 für die Errichtung der großen Domorgel bereits nicht mehr als realistisch zu betrachten war, vermerkte Dompfarrer Ledl motiviert und enthusiastisch in seiner Pfarrchronik des Jahres 1959:
„Die Absicht, die Orgel ehestens bei einer heimischen Orgelbauanstalt zu bestellen, damit sie 1962 geweiht werden kann, ist nicht zu verwirklichen. Einerseits könnte dies kaum eine Firma einhalten. Andererseits brachte uns der Orgelfachmann Ing. Egon Kraus – Wien, der zu einer Beratung in eine Ausschußsitzung des Dommusikvereines kam, auf eine ganz andere Meinung. Die Domorgel soll keine Riesenorgel werden, sondern eine Meisterorgel. Der größte Meister im Orgelbau ist derzeit in Europa die Firma „Marcussen & Son, Orgelbyggerei in Aabenraa“, Dänemark, jetzt geführt von Zachariassen. Als die Absicht leise bekannt wurde, kamen arge Vorwürfe von einer heimischen Orgelbaufirma! Auch wäre Zachariassen nicht katholisch, (baute die Orgel im Germanicum in Rom und war der Fachexperte beim kirchenmusikalischen Weltkongreß in Wien) sei eine ausländische Firma usw. Es wurde mit Z. dennoch Verbindung aufgenommen und er kam im April nach Linz. In Beisein von Ing. Kraus – Wien und dem Fachkomitee wurde in 2 Tagen die Planung besprochen und der Auftrag erteilt, H. Zachariassen soll uns einen Kostenvoranschlag unterbreiten. Die neue Orgel soll 70 Stimmen haben und wird, bis sie spielfertig sein wird, rund 4 Millionen S kosten. Schriftlich wurde mit Z. vereinbart: die Orgel wird bestellt, wenn wir die Hälfte der Bausumme gesammelt haben. Nun stehen wir bei 300.000 S!! Also wird noch Zeit vergehen!“
Erstes Treffen mit Sybrand Zachariassen im Dompfarrhof Linz (1959): Hermann Kronsteiner, Josef Kronsteiner, Egon Krauss, Sybrand Zachariassen, Heinrich Hirscher, Josef Ledl (von links nach rechts).
© Archiv der Dompfarre Linz
Die Gegenüberstellung der Begriffe „Riesenorgel“ und „Meisterorgel“ in Ledls Ausführungen kam nicht von ungefähr: Denn die neue Orgel im Wiener Stephansdom (Kauffmann, 1960, 125/IV/P), auch „Riesenorgel“ genannt, war nach Ansicht der Orgelverständigen keine „Meisterorgel“ geworden, Krauss sprach in einem Brief an Hans Haselböck gar von einer „Blamage‘Domorgel Wien“. Eine Meisterorgel sollte darum nun in Linz entstehen.
Nach Egon Krauss‘ Ansicht kamen nur die Orgelbaufirmen Marcussen & Søn im dänischen Aabenraa und Kuhn im schweizerischen Männedorf für dieses große Orgelprojekt in Frage.
Für Hans Haselböck hatte sich Sybrand Zachariassen (1900–1960), der von 1930 bis zu seinem Tod 1960 die Firma Marcussen & Søn leitete, durch die „[…] Errichtung einer Anzahl hervorragender Instrumente einen bedeutenden Namen erworben“, weswegen „[…] Zachariassen auch 1954 für das grundlegende Orgelreferat beim Kongreß für katholische Kirchenmusik in Wien ausersehen worden [war].“
Nicht erst seit diesem Vortrag Zachariassens, in dem dieser Einblicke in seine Orgelbauprinzipien gewährte, war Egon Krauss ein engagierter Verfechter von dessen Ideen. Ihre freundschaftliche Verbindung zeigte sich deutlich in der Übereinstimmung der orgelbaulichen Grundsätze und Ziele, die für die Konzeption der Rudigierorgel im Linzer Mariendom von großer Bedeutung waren.
Bettelbrief von Bischof Franz Salesius Zauner (1. Mai 1962). © Krauss-Archiv im Stift Schlägl
Die Finanzierung der Rudigierorgel gestaltete sich dabei als große Herausforderung. Bereits 1960 haderte Dompfarrer Ledl in der Pfarrchronik der Dompfarre Linz mit dem schleppenden finanziellen Fortgang des Projekts, auch wenn immer wieder viele große und kleine Spenden verbucht werden konnten:
„Es konnten nur 150.000 S an Spenden hereingebracht werden. Das Interesse im Klerus ist gering (gemacht worden!!); im Volke jedoch sehr rege. Würde der Klerus mittun, wäre das Grundkapital schon beisammen und die Orgel könnte bestellt werden.“
In der Generalversammlung des Dommusikvereins Linz vom 29. November 1961 war man sehr bestürzt über die hohe noch fehlende Geldsumme. Neue Impulse erhoffte man sich deshalb durch die Einbindung des damaligen Landesrates und späteren Landeshauptmannes Dr. Erwin Wenzl (1921–2005), wie die Pfarrchronik des Jahres 1961 verrät:
„Die Rudigierorgel kommt nicht recht voran! [...] Die Vereinskassierin konnte einen Kassastand von 535.240 S bekanntgeben. Ein großer Gewinn des Vereines ist es, daß Landesrat Erwin Wenzl sich in den Ausschuß wählen ließ. Dadurch kommt neues Leben in den Verein!“
Dieses „neue Leben“ im Verein zeigte sich deutlich, sodass Ledl 1962 – wo unter der Federführung Bischof Franz Salesius Zauners am 1. Mai auch ein Bettelbrief für die neue Orgel ausgegeben wurde – in der Pfarrchronik jubeln konnte:
„Die Rudigierorgel kam mächtig voran! Ein freudiger Vermerk in der Chronik! Der bei der Generalversammlung des Dombauvereines 1961 in den Ausschuß gewählte H. Landesrat Dr. Wenzl war ein ganz großer Gewinn. Bei Land, Gemeinde, Bauherr und Firmen sprach er vor oder sandte ein Schreiben und es wurde viel gegeben. Natürlich hat der Verein das Domfest für seine Zwecke ausgenützt. In allen Zeitungen erschienen Artikel über die geplante Orgel. Am Gründonnerstag war große Pressekonferenz im Pfarrhof mit anschließendem Mittagessen bei den ‚Drei Rosen‘. Am gleichen Tag wurde schon die fertige Ausstellung den Presseleuten gezeigt und erklärt. Das Modell der Orgel (9000 S) war schon aufgestellt.“