1924 – Weihe des Mariendoms Linz
Anton Bruckner komponierte zwischen Mai und September 1864 – noch unter dem Eindruck des Besuchs einer Aufführung von Richard Wagners Tannhäuser – die Messe in D (WAB 26), wie sie im Autograph bezeichnet ist, als erstes größeres Werk nach den kleineren Arbeiten der Jahre 1862 und 1863 wie der Fest-Cantate bei Gelegenheit der Grundsteinlegung zum Dombau am 1. Mai 1862, WAB 16, oder Psalm 112, WAB 35. Das Benedictus entstand als letzter Teil der Messe und ist versehen mit der Notiz „Linz 29. September 864. 7 Uhr Abends.“ Bruckner finalisierte die Messe demnach auf den Tag genau fünf Jahre vor der Uraufführung seiner Messe in e-Moll (WAB 27).
Deutliche Anknüpfungspunkte finden sich in der Messe in D zu früheren Arbeiten, beispielsweise wird im Credo das Afferentur regi (WAB 1) aus dem Jahr 1861 zitiert, das Bruckner 1885 dem Chordirigenten am Mariendom Johann Baptist Burgstaller (1840–1925) widmete. Umgekehrt finden sich auch im ersten Satz von Bruckners Dritter Sinfonie (WAB 103) sowie im Adagio der unvollendeten Neunten Sinfonie (WAB 109) ein Zitat aus dem Miserere nobis des Gloria aus der Messe in D. Dazu bemerkt Leopold Nowak: „Wie hoch Bruckner die Messe einschätzte, geht wohl am besten daraus hervor, dass er das Miserere-Motiv aus dem Gloria dem Adagio seiner IX. Symphonie einfügte. Er nahm Abschied vom Leben und wusste sich dafür keine besseren Klänge als die demütig flehenden Quartsextakkordfolgen seiner Linzer Zeit.“
Bruckner hatte seine Messe allerdings nicht allein zur Ehre Gottes komponiert – er erhoffte sich von ihr letztlich mehr Renommee, schließlich träumte er von einer Stelle am Hof in Wien. Felix Diergarten zeigt sich angesichts dieser Pläne verwundert, da Bruckners neue Töne in Kontrast zum konservativen Musikgeschmack am Hofe standen – er sieht in Bruckners Messe schließlich das „Bekenntnis eines Musikers, der, jenseits der Lebensmitte, seine Stimme gefunden hatte“ (S. 50).
Geplant war die Uraufführung der erst nach Bruckners Tod 1896 als d-Moll-Messe bezeichneten Messe in D bereits für den Geburtstag von Kaiser Franz Joseph I. am 18. August 1864 in Bad Ischl. Aus zeitlichen Gründen erfolgte diese aber erst zum Cäcilienfest desselben Jahres (20. November 1864) im Alten Dom in Linz. Das Aufführungsmaterial für diesen Tag verrät, dass der Chor maximal 38 Sängerinnen und Sänger – vielleicht aufgrund der 19 Chorstimmen auch nur die Hälfte – umfasst haben muss. Bei den Orchesterstimmen ergibt sich – je nach einfacher oder doppelter Besetzung am jeweiligen Pult – ein Streichorchester von 11 bis 20 Musizierenden sowie 15 Bläser.
Aufbau |
I. Kyrie – Alla breve II. Gloria – Allegro III. Credo – Moderato IV. Sanctus – Maestoso V. Benedictus – Moderato VI. Agnus Dei – Andante quasi Allegretto |
Nach der Uraufführung erhielt Bruckner einen Lorbeerkranz sowie ein Gedicht („Von der Gottheit einstens“) seines Gönners Moritz Edler von Mayfeld (1817–1904). Zweifellos markiert diese Messe Bruckners Durchbruch – bei der Kritik und beim Publikum wurde die Messe begeistert aufgenommen, so meldete der Linzer Abendbote, dass die Messe „[…] nach dem Ausspruche unserer bewährtesten Kunstverständigen das Ausgezeichnetste [ist], was seit langem in diesem Fache geleistet wurde“ (21. November 1864).
Wenige Wochen nach der Uraufführung im Alten Dom wurde die Messe am 18. Dezember 1864 aufgrund des großen Erfolgs ein zweites Mal im Rahmen eines Concert spirituel in den Linzer Redoutensälen aufgeführt. Da an diesem Ort keine Orgel zur Verfügung stand, schuf Bruckner eine alternative Fassung, in der das Orgelintermezzo im Credo von Holzbläsern (Klarinette und Fagott) übernommen wird. Von Bruckners Gönner erschien nach dem Concert spirituel auch eine Besprechung der Messe im Linzer Abendboten (20. Dezember 1864), in der es heißt: „Freuen wir uns also aus voller Seele, daß wir (um ein Göthe'sches Wort zu gebrauchen), einen ‚solchen Kerl‘ in unserer Mitte haben! Ebnen wir ihm nach Kräften die Wege, welche für den angehenden Kunstjünger an Glätte der Macadamisirung stets Einiges zu wünschen übrig lassen. Ein Abglanz seines Ruhmes wird dann einst auf Linz zurück strahlen.“
Nach dieser zweiten Aufführung berichtete Bruckner am 26. Dezember 1864 an seinen Freund Rudolf Weinwurm (1835–1911) in Wien: „Daß letzteres so außerordentlich besucht, ja überfüllt war sei Dir als Beweis, wie in der Kirche angesprochen hat, was mich um so mehr wundert, da die Composition sehr ernst u sehr frei gehalten ist.“ Selbst im Wiener Fremden-Blatt war von „einer Messe von Anton Bruckner, welche dort ungewöhnliche Sensation erregt hat“ (14. April 1865) zu lesen – gleichzeitig bedauerte das Blatt, „[…] daß diese bedeutende musikalische Kraft nicht in Wien einen ihr angemessenen Berufskreis findet“, denn: „Unsere kirchenmusikalischen Zustände sind nicht danach angethan, daß man einen Künstler wie Bruckner bei Seite liegen lassen sollte.“
Überarbeitungen des Werks folgten in den Jahren 1876 sowie 1881/1882 – Änderungen beziehen sich dabei in erster Linie auf Metrik, Artikulation und Dynamik. In seiner ersten großen Messe für Soloquartett, vierstimmig gemischten Chor, Orchester und Orgel zeigt Bruckner zwar noch die Verwurzelung in der Tradition klassischer Orchestermessen, präsentiert aber im Keim schon die vor ihm liegende Entwicklung zum Symphoniker. So bemerkt auch Franz Gamon in seiner fünfteiligen Besprechung der Messe in der Linzer Zeitung (29. Dezember 1864): „Herr Bruckner hat nicht nur mit großer Meisterschaft die höchsten Aufgaben der Tonkunst gelöst, sondern auch, und zwar namentlich seine Begabung für den höheren Styl, die Symfonie bewiesen.“
Nach den beiden Linzer Aufführungen bedankte sich Bruckner in einer Annonce im Linzer Abendboten (19. Dezember 1864): „Ich statte hiemit allen, welche bei meiner am 20. November und 18. Dezember 1864 zur Aufführung gelangten Messe mitzuwirken die besondere Gefälligkeit hatten, meinen tiefgefühlten, innigen Dank ab: den jede größere Musik-Aufführung so bereitwilligst unterstützenden Damen; den vorzüglichen hiesigen Opern-Kräften; den Mitgliedern des ‚Sängerbundes‘; dem Orchester des hiesigen Theaters und namentlich Herrn Orchester-Direktor Zappe; und vor allem der löblichen Liedertafel ‚Frohsinn‘, deren zahlreiche Mitwirkung sowohl im Orchester als im Chore die Aufführung meines Werkes ermöglichte.“
Der Wiener Rezensent Ludwig Speidel bemängelte bei der ersten Aufführung in Wien am 10. Februar 1867 in der Wiener Hofburgkapelle mit Bruckner an der Orgel – wie er am Beispiel des Credo ausführt: „[...] hier geht Bruckner jeder Verlockung zu poetischer Illustration in die Falle. Auf solche Weise geht der Satz der einheitlichen Stimmung verlustig, er zerbröckelt unter der Hand wie Linzer Torte.“ Eine weitere Spitze in Richtung Bruckners Heimatbundesland findet sich ebenfalls darin: „In grellen Instrumentaleffekten, in unsangbarer Behandlung der Menschenstimme, in harten harmonischen Fortschreitungen leistet Bruckner mitunter das Kühnste, obgleich ihm, was den letzten Punkt betrifft, der oberösterreichische Organist in treuherzigen Sequenzen hin und wieder in den Nacken schlägt.“ – Resümierend führt Speidel aber doch – äußerst positiv für Bruckner – aus: „Und nun sprechen wir schließlich einen alten Lieblingsgedanken aus, wenn wir Herrn Bruckner wünschen, es möchte ihm gelingen, sich in Wien auf die Dauer musikalisch niederzulassen. Man könnte in Wien diesen zu Linz internirten Tonkünstler, der sich einer fast sträflichen Bescheidenheit befleißigt, an zwei Handhaben fassen: an seinen großen theoretischen Kenntnissen und an seinem wahrhaft bedeutenden Orgelspiel. Ist keine Kirche für ihn gebaut, kein Lehrstuhl für ihn vakant? […] Es liegt zwar nicht in unserer Art, die Kirche so leicht zu Hilfe zu rufen; wenn sie aber einem Manne wie Anton Bruckner die seinen Fähigkeiten entsprechende Stelle anwiese, würde sie nur in ihrem eigenen Interesse handeln.“ (Fremden-Blatt, 11. Februar 1867)
Was der Linzer Abendbote (20. Dezember 1864) nach den ersten Linzer Aufführungen vermeldete, verbindet die Komposition durchaus mit dem Mariendom: „In seiner Messe ist Alles, oder doch das Meiste, neu.“ Und so verwundert es nicht, dass die Messe für das mehrtägige Weihefest des neuen Mariendoms 1924 unter Domkapellmeister Ignaz Gruber (1868–1937) ausgewählt wurde.
Bei der Weihe des Mariendoms am 1. Mai 1924 erklangen zum Einzug des Klerus (8.00 Uhr) ein fünfstimmiges Ecce sacerdos magnus von Domorganist Franz Neuhofer (1870–1949) sowie ein Veni creator von Ignaz Gruber für gemischten Chor a cappella. Beim Pontifikalamt mit dem päpstlichen Kardinal-Legaten um 9.30 Uhr wurden neben Anton Bruckners Messe in D Franz Xaver Müllers (1870–1948) Introitus (Gaudens gaudebo). Auch aus Müllers Feder stammte das eigens zur Votivmesse der Immac. Conc. B. M. V. für die Weihe des Mariendoms vertonten Graduale (Alleluja, Tu gloria Jerusalem) für bis zu achtstimmigem gemischten Chor a cappella sowie Offertorium (Ave Maria) für Solist:innen, Chor und Orchester mit Orgel. Nach dem Pontifikalamt wurde Franz Neuhofers Te Deum, op. 91, zur Aufführung gebracht. Beim Segen erklangen schließlich Tantum ergo und Genitori für gemischten Chor und Orchester von Karl Borromäus Waldeck (1841–1905) sowie zum Auszug des Klerus ein dem Andenken an Bischof Franz Joseph Rudigier (1811–1884) gewidmetes Fest-Postludium, op. 150, das zu diesem Anlass für Orgel und Bläserchor geschaffen wurde und die Themen von Bruckners d-Moll-Messe verarbeitet. Zur Aufführung von Bruckners Messe verrät der Fest-Bericht von 1924: „Als Festmesse wurde die in D von Meister Anton Bruckner gewählt, der bekanntlich in innigem Verhältnis zum neuen Dome stand […]. Domkapellmeister Ignaz Gruber leitete die Tondichtung unseres großen Landsmannes mit voller Hingabe und liebevollem Versenken in die Schönheiten des Werkes, das an die ausführenden Sänger und Instrumentalisten außergewöhnliche Anforderungen stellt, denen sich die Beteiligten vollauf gewachsen zeigten.“ Auch Franz Gräflinger berichtet in der Linzer Tagespost (3. Mai 1924) und ergänzt: „Beim Einzuge phantasierte Domkapellmeister Ignaz Gruber über das Einleitungsthema des Sanctus aus der D-Messe Bruckners. Sein Können, seine Technik, an brucknerischem Vorbilde erzogen, verstand er voll auszunützen.“ Von rund 100 Chorstimmen und 40 Instrumentalstimmen sowie dem Soloquartett Zelenka, Erhard, Raidl und Brandstötter wird hier berichtet – als Resümee hält Gräflinger fest: „Die musikalische Darbietung wird in seiner Art in der Geschichte von Linz dauernd weiterleben.“
Bereits wenige Wochen später – zum Fest Christi Himmelfahrt – wurde das Werk offenbar erneut im Mariendom aufgeführt, so rief die Linzer Tages-Post (29. Mai 1924) dazu auf: „Alle Mitwirkenden beim Domamte am 1. Mai werden hiermit gebeten, bei der Wiederholung der Bruckner-D-Messe am Donnerstag um 10 Uhr sich zu beteiligen.“ – Zwei Tage später wurde dazu berichtet: „Die vom Domkapellmeister Ignaz Gruber sorgfältig einstudierte und edelrichtig nachempfundene Aufführung von Bruckners D-Moll-Messe, die für das Domweihefest ausgewählt wurde, erbaute am Christi Himmelfahrtstage die vielen Zuhörer. […] Vertieft und hingebungsvoll die Solisten […]; begeistert mitgehend der Chor. […] Ein Wunsch beseelte alle klassischen Kirchenmusikliebhaber und -kenner: möge derselbe Geist, derselbe Zug auch fernerhin am Domchor walten und herrschen wie bisher.“
Quellen:
Diergarten, Felix (2023): Anton Bruckner: das geistliche Werk. Salzburg-Wien: müry-salzmann.
Fremden-Blatt, Nr. 41, 11. Februar 1867, S. 5.
Fremden-Blatt, Nr. 103, 14. April 1865, S. 6.
Harrandt, Andrea/Schneider, Otto (Hrsg.) (2009): Briefe von, an und über Anton Bruckner. Band I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., revidierte und verbesserte Auflage. Wien: Musikwissenschaftlicher Verlag.Linzer Abendbote, Nr. 266, 21. November 1864, S. 2.
Linzer Abendbote, Nr. 289, 19. Dezember 1864, S. 3.
Linzer Abendbote, Nr. 290, 20. Dezember 1864, S. 3.
Linzer Tages-Post, Nr. 102, 3. Mai 1924, S. 4.
Linzer Tages-Post, Nr. 124, 29. Mai 1924, S. 8.
Linzer Tages-Post, Nr. 125, 31. Mai 1924, S. 6.
Linzer Zeitung, Nr. 297, 29. Dezember 1864, S. 1235.
Nowak, Leopold (Hrsg.) (1975): Anton Bruckner-Gesamtausgabe: Messe d-Moll 1864. Wien: Musikwissenschaftlicher Verlag.
Pesendorfer, Friedrich Josef (1924): Fest-Bericht des Linzer Domweihefestes, Linz: Verlag des Katholischen Preßvereines.
Stefanie Petelin
Österreichische Nationalbibliothek | AKON Ansichtskarten Online | Diözesanarchiv Linz