1878 – Amtsjubiläum von Bischof Rudigier im Mariendom Linz
Anlass der Komposition der Antiphon Tota pulchra es, Maria (WAB 46) für vierstimmigen gemischten Chor, Tenorsolo und Orgel war das 25jährige Amtsjubiläum von Bischof Franz Josef Rudigier (1811–1884) im Jahr 1878. Widmungsträger des am 30. März 1878 in Wien fertiggestellten Werks ist demnach Bischof Rudigier („Illustrissimo ac reverendissimo Domino Francisco Josepho Episcopo. Antonius Bruckner.“); das Widmungsexemplar befindet sich auch im Diözesanarchiv Linz.
Der Text des Tota pulchra es, Maria entstammt der ersten Antiphon der Vesper („In conceptione Immaculata Beatae Mariae Virginis“) und dem Alleluja-Vers der Messe des Festes Mariä Empfängnis am 8. Dezember – dieser paraphrasiert eine Stelle aus dem Hohen Lied (Hld 4,7). Winfried Kirsch identifiziert Bruckners Tota pulchra es, Maria dabei als „[…] Gebetstext, den Bruckner zu einer paraliturgischen Andachtsmusik vertont“ (S. 342).
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Tota pulchra es, Maria. |
Bereits am 23. Mai 1878 kündigte man in der Steyrer Zeitung die Aufführung von Bruckners Komposition anlässlich der Feierlichkeiten des Bischofsjubiläums, das von 3. bis 5. Juni 1878 dauerte (3. Juni: Festabend des katholischen Casinos im Gasthof zum goldenen Schiff; 4. Juni: Empfang der Festdeputationen, Segensandacht in der Votivkapelle des Mariendoms, Konzert vom Diözesan-Cäcilien-Verein im Bischofshof, Fackelzug mit Musik; 5. Juni: Auszug aus dem Alten Dom zum Bischofshof und Rückzug zum Alten Dom, Festpredigt von Fürstbischof Johann Baptist Zwerger aus Graz-Seckau, Hochamt und Te Deum). Bereits am 30. Mai 1878 hatte Bruckner Bischof Rudigier ein Gratulationsschreiben aus Wien übermittelt, in dem es heißt: „Gott wolle Bischöfliche Gnaden noch das fünfzig jährige Jubiläum und lange darüber hinaus im Besitze vollster Gesundheit erleben lassen zum Glücke, zu Wohlfahrt und zum Ruhme meines engeren Vaterlandes! Reichster göttlicher Segen ströme auf Ihr hohes Haupt und hochheiliges Wirken hernieder! Vor dem Hohenpriester wollen fortan die Feinde zurückweichen! Dieß Alles zu erlangen, sei mein Gebeth. Genehmigen bischöfliche Gnaden, daß ich mir erlaube, mein Hochdemselben dedicirtes ‚Tota pulchra‘ beizuschließen. Dankend für alles mir gnädigst Gespendete, küsse ich Ihre Hände und verharre mit höchstem Respekte“.
Seine Uraufführung erlebte Tota pulchra es, Maria am 4. Juni 1878 während einer Vesper um 18.00 Uhr in der Votivkapelle des Linzer Mariendoms unter Chordirigent Johann Baptist Burgstaller (1840–1925). Nach der Uraufführung berichtete das Linzer Volksblatt am 12. Juni 1878 im Rahmen des – vermutlich von Ernst Klinger stammenden – Artikels Musikalische Nachklänge zum 25jähr. Bischofs=Jubiläum in Linz: „Dasselbe Lob gebührt dem wundervollen ‚Tota pulchra es Maria‘, comp. für 4 Singstimmen, die sich beim ‚Tu laetitia Israel‘ zu 8 vermehren. Sie [sic!] hat zum Verfasser den berühmten Anton Bruckner, welcher dieses höchst interessante und werthvolle Tongebilde dem hochwürdigsten Jubilar Bischof Franz Joseph dedicirte.“ Der Schreiber dieser Zeilen schilderte in diesem Bericht auch seine Emotionen beim Zuhören des Werks: „[…] [er] wurde von einer wunderbaren Rührung ergriffen; er konnte sich der Thränen kaum erwehren“. Weiter hielt er – auch angesichts des Ortes der Uraufführung – fest: „Er wüßte nicht, wie man das Geheimniß der Unbefleckten, wie es in der betreffenden Antiphon ausgedrückt wird, schöner und kunstvoller mit dem Mittel der menschlichen Stimme ausdrücken könnte! Diese musikalische Composition paßt […] so ganz zu dem mysteriösen Dunkel der buntgemalten Glasfenster und den himmelanstrebenden Pfeilern der Marienkapelle.“
Felix Diergarten sieht die „einzigartige Faktur des Werks“ im Kontext der Feierlichkeit (und letztlich auch der Räumlichkeit) begründet: „Der Autor des Tantum ergo (Hanisch) war ein eingefleischter Cäcilianer aus Regensburg, dem Zentrum der Bewegung; die Litanei stammte von Habert, dem Anführer der gemäßigten Österreicher; der Autor des Ecce sacerdos (Waldeck) war ein Gegner der Cäcilianer. Und mittendrin: Anton Bruckner. Da in der Kapelle kein Platz für ein Orchester war, beschränkte sich die Kirchenmusik auf Vokalmusik, höchstens mit Orgelbegleitung, auch lud der neogotische Dom zu historisierenden und strengen Kompositionen ein. Mit der responsorialen Struktur, der choralartigen Melodie des Vorsängers, den vielen Vorhalten und altertümlichen harmonischen, fügte sich Bruckner in diesen Kontext. Da wirken das Abgleiten der Tonart an einer Stelle und der verminderte Septakkord der Schlusskadenz wie zwei Zeichen, dass hier eben kein Cäcilianer spricht, sondern Anton Bruckner.“ (S. 115)
Die Antiphon Tota pulchra es, Maria gelangte bei einem weiteren besonderen Ereignis für die Diözese und den Mariendom zur Aufführung: Denn bei der „bischöflichen Inthronisations-Feier“ von Bischof Franz Maria Doppelbauer (1845–1908) am 5. Mai 1889 im Mariendom, für die Anton Bruckner sein Orgelspiel zugesagt hatte, dann aber erkrankte, stand während des Homagiums Bruckners Antiphon auf dem Programm. Dazu bemerkte Maximilian Schwarz im Linzer Volksblatt am 7. Mai 1889 in seinem Artikel Ueber die Kirchenmusik im Mariä Empfängnis-Dome: „Eine sehr schöne und schwierige Composition, welche eine ebenso verständnisvolle als zarte Behandlung verlangt, ist die Antiphon Tota pulchra von Anton Bruckner, welche während des Homagiums gesungen wurde. Die Aufführung dieser heiklen Composition gelang wider Erwarten gut. […] Wäre Zeit und Gelegenheit gewesen, sämmtliche Nummern noch genauer und eingehender zu studieren, so wäre der Erfolg ein noch schönerer gewesen.“ Der Bericht verrät auch, dass der Chor des Mariendom – hier ebenfalls unter der Leitung von Chordirigent Burgstaller – „wesentlich verstärkt“ war durch Mitwirkende wie Frau Marie Spängler, Fräulein Kainerstorfer mit ihren Schülerinnen, Fräulein Fiala, Herr Holzner, Herr Poschner, Herr Schrabmayr oder dem Chor der St. Matthias-Pfarrkirche.
Mit der ebenfalls für den Linzer Mariendom geschaffenen Messe für Doppelchor und Harmoniebegleitung (WAB 27, bekannt als e-Moll-Messe) zur Einweihung der Votivkapelle teilt das Tota pulchra es, Maria einige Eigenschaften – zum einen die Tonart e-Moll/phrygisch, zum anderen die sparsame Instrumentierung. Dennoch kam das Werk mit seiner phrygischen Anlage und der harmonischen Nähe zum Palestrinastil dem cäcilianischen Geschmack Burgstallers durchaus entgegen.
Quellen:
Bruckner, Anton: Brief an Bischof Franz Joseph Rudigier, 30. Mai 1878.
Diergarten, Felix (2023): Anton Bruckner: das geistliche Werk. Salzburg: Müry Salzmann.
Kirsch, Winfried: Versenkung und Ekstase – Zur musikalischen Ausdrucksästhetik der Motetten Anton Bruckners. In: Riedel, Friedrich Wilhelm (Hrsg.) (2001): Anton Bruckner. Tradition und Fortschritt in der Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts. (= Kirchenmusikalische Studien 7). Sinzig: Studio. S. 339–358.
Linzer Volksblatt, Nr. 134, 12. Juni 1878.
Linzer Volksblatt, Nr. 100, 1. Mai 1889.
Linzer Volksblatt, Nr. 105, 7. Mai 1889.
Maier, Elisabeth: „Tota pulchra es, Maria“ (WAB 46). URL: http://www.bruckner-online.at/ABLO_d1e10059 (Stand: 05/2024)
Steyrer Zeitung, Nr. 41, 23. Mai 1878.
Stefanie Petelin
Mariendom Linz | Diözesanarchiv Linz