1862 – Grundsteinlegung zum Mariendom Linz
„Zur Zeit der Entstehung des Immakulatatempels war Bruckner Domorganist in Linz. Ihm war es beschieden, des neuen Domes Wiegenlied zu singen. Die ersten Klänge, die zu Mariens Preis bei der feierlichen Grundsteinlegung am 1. Mai 1862 zum Himmel rauschten, waren Brucknerklänge.“ – Das berichtet Franz Xaver Müller (1870–1948) in der Festschrift zur Linzer Domweihe 1924.
Die Fest-Cantate bei Gelegenheit der Grundsteinlegung zum Dombau am 1. Mai 1862 (WAB 16) mit einer Textvorlage des Theologen Maximilian Pammesberger (1820–1864), tätig als Professor für Moraltheologie an der Theologischen Diözesanlehranstalt in Linz sowie als Redakteur bei den Christlichen Kunstblättern, entstand im Auftrag des Linzer Diözesanbischofs Franz Joseph Rudigier (1811–1884) zur Feier der Grundsteinlegung des Mariendoms in Linz.
Aufbau |
I. Chor „Preiset den Herrn“ (Männerchor, Orchester) II. Solo-Quartett mit Chor „Thaue deine Kraft und Stärke“ (Solisten, Männerchor, Flöte, Klarinette, Fagott) III. Chor „Preiset den Herrn“ (Männerchor, Orchester) IV. Bass-Solo „Aus der Erde Schoß“ (Bass-Solist, Orchester) V. Solo-Quartett „Das ist der Unbefleckten Haus“ (Solisten a cappella) VI. Präludium (Klarinetten, Fagotte) VII. Choral „Des Landes Stämme wallen fromm“ (Männerchor a cappella) VIII. Chor „Preiset den Herrn“ (Männerchor, Orchester) |
Text |
Preiset den Herrn, Grund und Eckstein bist du, Herr Preiset den Herrn, Maria preiset, Aus der Erde Schoß
Des Landes Stämme wallen fromm
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Der Linzer Domorganist Bruckner stellte die Komposition für vierstimmigen Männerchor, Männer-Soloquartett, Bass-Solo, Blasorchester und Pauken am 25. April 1862 in Linz fertig. Bereits am 27. April 1862 meldete die Linzer Zeitung: „Wie wir vernehmen, hat der Domorganist Herr Bruckner zur Feier der Grundsteinlegung des Mariä Empfängniß=Domes eine Cantate komponirt.“ Denn schon wenige Tage später – am 1. Mai 1862 – wurde der Grundstein für den Linzer Mariendom gelegt und das Werk während des Hammerschlag-Aktes von der Liedertafel Frohsinn, eingeladenen Gastsängern sowie der Blaskapelle des Infanterieregiments Freiherr von Bamberg Nr. 13 unter der Leitung von Bruckners Schulkollegen und Nachfolger als Chormeister der Liedertafel Engelbert Lanz (1820–1904) am Bauplatz unter freiem Himmel bei zahlreicher Beteiligung von Klerus, Würdenträgern, Ehrengästen und der Bevölkerung (man spricht von rund 15.000 bis 20.000 Personen) uraufgeführt.
Die Linzer Zeitung (Nr. 192) berichtete am 3. Mai 1862 zur Kantate: „Eine herrliche prachtvolle Komposition! Wie wissen nicht, welcher Theil mehr gelungen ist, der kräftige Eingangschor oder das Baßsolo in der Mitte, oder der majestätische Choral, oder der Schlußsatz. Wir wünschten sehr im Interesse der Kunst, daß diese Kantate nicht gleich anderen Gelegenheitsstücken der Vergessenheit anheimgegeben, sondern daß sie auch veröffentlicht und in weiten Kreisen bekannt gemacht würde. Auch wünschten wir, daß dieses Werk bei irgend einer Gelegenheit in einem geschlossenen Raume möchte noch einmal aufgeführt werden.“ Max Auer analysiert das Werk in seiner Bruckner-Biographie: „Das festliche Werk steht wie seine Vorgängerinnen noch größtenteils im Banne der Klassiker, weist aber in Einzelheiten schon doch schon gewisse Merkmale der späteren Eigenart Bruckners auf. Der Unisono-Oktav-Absturz des Anfanges ist das bemerkenswerteste derselben und wird von den Singstimmen übernommen. […] Ausgesprochenes Brucknersches Gepräge trägt aber nur das durch Holzbläser und Hörner begleitete Baß-Solo … Die weitgeschwungene Baß-Melodie, die sich bis zur Tredezim erhebt, erscheint uns mit dem Begriff ‚riesengroß‘ ausschöpfenden Dezim-Sprung und ihrer romantischen Harmonik wie eine Vorahnung des Hauptthemas der VII. Symphonie.“ Damit zeigt Bruckner die Majestät und Erhabenheit der Kathedrale bereits in diesem von Müller als „des Domes Wiegenlied“ beschriebenen Komposition auf musikalische Weise.
„So viele Leute wir bis jetzt darüber reden hörten, von allen hörten wir, daß sie Gott für diesen schönen Tag danken und hoch erfreut sind, ihn erlebt zu haben“, resümiert Textdichter (und gleichzeitig auch Dombaukomiteemitglied) Maximilian Pammesberger in den Katholischen Blättern am 7. Mai 1862 nach der Feier der Grundsteinlegung. Neben dem Hammerschlag-Akt und dem Pontifikalamt am Bauplatz wurde abends im Linzer Redoutensaal Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung (Hob. XXI:2) durch den Musikverein aufgeführt sowie „mit Anbruch der Nacht zwischen 8 und 9 Uhr der Bauplatz mit bengalischem Feuer beleuchtet“ (Linzer Abendbote, Nr. 101, 2. Mai 1862), außerdem „[prangte] an der Triumphspforte das Bild des Domes in seiner einstigen Vollendung in glänzender Transparent=Beleuchtung“ (ebd.), sodass die Linzer Zeitung als Conclusio festhielt: „Auch der Himmel war heute makellos, da der Grundstein zum Haus der Makellosen gelegt wurde!“ (Linzer Zeitung, Nr. 192, 3. Mai 1862)
Neben Bruckners „schwungvoll und würdig componirte[r]“ (Linzer Abendbote, Nr. 101, 2. Mai 1862) Kantate beim Hammerschlag-Akt wurde unter anderem im anschließenden Pontifikalamt unter dem Baldachin eine Messe von Antonio Lotti (1667–1740) sowie Bruckners ein Jahr zuvor komponiertes und uraufgeführtes Ave Maria (WAB 6) unter der Leitung von Karl Weilnböck (1830–1891), dem zweiten Chormeister der Liedertafel sowie Lehrer (und in weiterer Folge Schwager) der von Bruckner später umworbenen Josefine Lang (1844–1930), musiziert – die Kombination dieser beiden Stile darf wohl durchaus als musikalisches Pendant zum architektonischen Stil des Mariendoms gedeutet werden.
Quellen:
Auer, Max (1940): Anton Bruckner. Sein Leben und Werk. Leipzig: Musikwissenschaftlicher Verlag.
Bruckner, Anton (1862): Festcantate zur Grundsteinlegung am 1. Mai 1862 [Autograph, 25. April 1862]. (Quelle: Diözesanarchiv Linz, A-LIdaWAB16-1)
o.A. (1862): Festcantate zur Grundsteinlegung am 1. Mai 1862. Linz: Feichtinger’sche Buchdruckerei. (URN: urn:nbn:at:AT-OOeLB-3602898)
Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186204275, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186204275
Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186205015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186205015
Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186205025, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186205025
Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186205035, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186205035
Scheder, Franz: Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186205075, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186205075
Zinnhobler, Rudolf (Hrsg.): Text der Festkantate zur Grundsteinlegung des Neuen Domes zu Linz. In: Neues Archiv für die Geschichte der Diözese Linz, 4. Jahrgang, Heft 3 (1985/1986), S. 226–228.
Stefanie Petelin
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