Clemens Brentano
„Also hatte ich, in dem Laubgang auf und nieder gehend, mit meinem gnädigen Herrn gesprochen, und ging die Sonne bereits unter; da wurden wir still. Das währte nicht lang, da hörten wir gar herrlich auf der Orgel schlagen und mehrere klare Stimmen dazu singen. Herr Veltlin faßte meine Hand und blieb mit mit stehn. O, das war eine herrliche Musik, und sangen sie in abwechselndem Liede fragend und antwortend, und dann fielen wieder die Stimmen zusammen in vereinter Glut. Da wir stillstanden, hatten wir uns gen Abend gekehrt, und der Schein der Sonne gegen das Gewölk gab manche glühende Farbe; auch war es wunderbar zu schauen, dann die Sonne ging hinter dem Münster unter, und stand der hohe durchbrochene Turm schwarz vor uns, und konnte man seinen Abriß von innen und außen vor dem feurigen Himmel erkennen. Und wann die Wolken durcheinander zogen und ihr Glanz sich vermischte zu höherem Purpur, fielen auch oft die klaren Stimmen der Sänger und die runden Tonfluten der Orgel zusammen, und war es, als wenn der Gesang und der Farbenhimmel sich verstanden und zusammenspielten.
»Es hat die Orgel gar schön angefangen«, sagte Herr Veltlin, »auf deine Rede so recht wohltätig.« »Ja, sie hat sagen können, was ich nicht sagen konnte, was ich selbst nicht denken konnte. Ist es doch, als wäre der kunstreiche Turm das Gebäude der Orgel und ziehe der bunte Himmel wie die Töne durch ihn.« Als ich so sprach, präludierte die Orgel ein ander Lied, und Herr Veltlin sagte: »Sieh, jetzt zieht der letzte Lichtstreif am Himmel hin!«“
(Clemens Brentano, Aus der Chronicka eines fahrenden Schülers (Urfassung), 1802 bis 1806)