Die Lieblingsfuge
Der australischstämmige Organist und Komponist David Rumsey (1939–2017) besuchte einst Linz, um die Rudigierorgel genauer kennenzulernen. Im Gespräch erzählte er von einer Begebenheit in einer Friedhofskapelle in Basel.
David Rumsey musste spontan bei einer Verabschiedung einspringen und sollte dort auf Wunsch der Familie Johann Sebastian Bachs etwas heikle Fantasie und Fuge in g-Moll, BWV 542, spielen. Nach Üben am Vortag ging die Fantasie schon ziemlich gut, die Fuge wackelte jedoch noch ein wenig. Rumsey ging zu Beginn des Gottesdienstes allerdings davon aus, dass die Trauergemeinde die Kapelle ohnehin nach der ersten Seite des Werkes verlassen werde. Und so schien es auch: Denn der Gottesdienst endete, Rumsey begann mit der Fuge und die Trauergäste verließen die Aufbahrungshalle zu Rumseys Erleichterung auch sehr schnell.
Rumsey spielte die Fuge also entspannt in der leeren Kapelle zu Ende. Doch: Gerade, als David Rumsey seine Noten einpacken wollte, brach lauter Applaus los – direkt hinter ihm auf der Empore! Was Rumsey während seines Spiels nicht bemerkt hatte: Sämtliche Trauergäste waren während der Bach-Fuge auf die Empore gekommen und hatten den Sarg der Verstorbenen alleine vor den Toren der Aufbahrungshalle am winterlichen Friedhof gelassen. Der Sohn der Verstorbenen bedankte sich für das Spiel: „Vielen, vielen Dank, das ist die Lieblingsfuge unserer Familie!“
(Wolfgang Kreuzhuber)